Männig

Einfach schreiben: iA Writer vs. nvALT

Nun ist er also erschienen, der Writer des japanisch-schweizerischen Unternehmens Information Architects in seiner Mac-Version. Das Team um Oliver Reichenstein ist nicht nur für seine exzellente Aufbereitung von Daten auf Webseiten bekannt, sondern seit geraumer Zeit auch für höchst professionelle Eigen-PR im Web 2.0. Die Folge: Blogs und Computernews im Internet sind in diesen Tagen voll von wohlwollenden bis euphorischen Meldungen über das neue Schreibtool, das bisher nur in einer iPad-Variante verfügbar war. Und in der Tat: Der iA Writer wartet mit einer ganzen Reihe interessanter Features auf. Richtiger sollte man eigentlich schreiben, dass eben das Weglassen zahlreicher Features das Schreibwerkzeug so interessant macht. Damit kreieren Reichenstein & Co. keine neue Produktsparte, haben aber sichtbar und fühlbar weiter gedacht als andere Protagonisten der boomenden Focused Writing-Szene.

Hat man den Writer für derzeit 14,49 Euro im Mac App Store heruntergeladen, dann öffnet sich beim ersten Start zunächst eine Hilfedatei, die dem Käufer das Tool näher bringt. Hierbei zeigt sich gleich, wie reduziert Writer angelegt ist. Die einführenden Worte sind in weniger als einer Minute gelesen und verstanden, die Menüs des Programms und seine Möglichkeiten in weiteren zwei bis drei Minuten erkundet. Die üblichen, individuellen Einstellungsmöglichkeiten oder Preferences im Programmmenü sucht man vergebens. Information Architects sind einen konsequenten Weg gegangen: Man hat versucht, ein optimales Schreibinterface zu entwickeln und vertritt dies dann auch so weit gehend, dass man es vom User nicht verschlimmbessern lassen will. Love it or leave it. Ein mutiger Weg für ein junges Softwareunternehmen.

Nachdem ich auf dieser Webseite hier ja schon seit längerer Zeit das iA³ Template des Unternehmens einsetze, dürfte jedem klar sein: Ich stehe den Interface-Ideen von Information Architects mehr als aufgeschlossen gegenüber. Entsprechend hat es mich natürlich auch begeistert, wie Writer mit den elementaren Markdown-Elementen umgeht, ja sogar diese genial-einfache Auszeichnungssprache neuen Nutzern nahe bringt. Die wichtigsten Markdown-Elemente werden dann auch gleich in der einleitenden Hilfedatei erläutert, so dass selbst der Neuling sofort loslegen kann. Auszeichnungen, die sich auf einen ganzen Absatz beziehen werden, sobald sie von Writer erkannt werden, auf die linke Seite des Textblocks ausgerückt und stören daher den Lesefluss noch weniger als bei der Verwendung von Markdown in anderen Schreibwerkzeugen. Überschriften werden fett dargestellt, Listen klar strukturiert, Blockquotes eingerückt.

Fette und kursive Elemente, die im Fließtext eines Absatzes Markdown-typisch mit Sternchen oder Doppelsternchen ausgezeichnet werden, werden ebenfalls hervorgehoben: Die fetten logischerweise in fett, die kursiven jedoch keineswegs als kursiv, sondern als unterstrichen, was den Anwender in Ermangelung einer Bedienlogik doch etwas überrascht. [Anmerkung: iA hat inzwischen darauf hingewiesen, dass die verwendete Schrifttype schlicht noch keine Kursivschrift beinhaltet.] Interessant ist die Eigenschaft des Writer, die Titel- wie auch die Statuszeile auszublenden, sobald der Nutzer zu schreiben beginnt. Das ist gut gemeint, jedoch kann das Zappeln der immer wieder auftauchenden und verschwindenen Leisten oben und unten im jeweils genutzten Fenster auch durchaus als störend empfunden werden. Störender, als wenn zwei unaufdringliche Leisten mit nützlichen Informationen wie Dateiname, Wort- und Zeichenzahl, sowie – iA-typisch – die geschätzte Lesezeit einfach immer vorhanden wären und bedarfsweise einfach vom Gehirn des Nutzers ausgeblendet würden.

Die Schrifttype, die Writer fix vorgibt, überzeugt durch ihre Klarheit und gute Lesbarkeit. Mit der ebenfalls fix eingestellten Fontgröße scheint man es allerdings etwas zu gut gemeint zu haben. Die Buchstaben sind derart wuchtig, dass auf einem 13,3-Zoll-MacBook-Bildschirm gerade einmal höchstens 20 Zeilen dargestellt werden können. Das mag für die Augen der Entwickler individuell fein eingetunt sein, entspricht aber sicher nicht den Sehgewohnheiten des größten Teils der potenziellen Nutzer. Man kann sich gegebenenfalls daran gewöhnen, wenn man Writer als Solitär benutzt, sich über einen längeren Zeitraum hinweg ausschließlich im Writer-Fenster befindet. Ist man darauf angewiesen, zu Recherchezwecken immer wieder in die Fenster anderer Programme zu springen, dann wirkt die ungewöhnlich große Schrift bei jedem Zurückkommen wie ein Fremdkörper. Aber Interaktion ist ohnehin des Writers Sache nicht. Mit seiner Mindest-Fensterbreite von 922 Pixel mag er sich nicht neben andere Programmfenster stellen lassen, sondern stets allein bleiben.

Was am Schreibtool von iA auch sofort ins Auge fällt, ist der ungewöhnliche Cursor. Den haben die Gestalter des Writer zu einem blauen Balken gemacht, der auch als Key Visual im Programm-Icon auftaucht. Was marketingtechnisch ein beachtenswerter Schachzug ist – der Cursor als Markenzeichen immer im Gesichtsfeld des Users – bringt aber letztlich keinerlei Nutzwert und widerspricht damit dem erklärten Streben der Entwickler nach Klarheit. Wer niemanden hat, der für ihn lektoriert, wird ebenfalls eine Rechtschreibkorrektur vermissen, die möglicherweise falsch geschriebe Wörter hervorhebt. [Anmerkung: Das Problem saß hier lediglich vor dem Bildschirm, wie ein erläuternder Tweet kurz nach Veröffentlichung dieses Artikels zeigte.] Klar ist jedoch: Die Einfachheit ist hier Programm, und kaum ein begeisterter Nutzer wird sich darüber beklagen, dass Writer selbst zum Einführungspreis fast genauso viel kostet, wie Apples vollwertiges, klassisches Textverarbeitungs- und Layoutprogramm Pages, das in neueren Versionen zumindest auch mit einem Focus Mode aufwartet.

Bei aller Kritik ist das Interface des neuen iA-Macprogramms aber dennoch äußerst bemerkenswert. Umso mehr wundert man sich, dass beim Handling der erzeugten und bearbeiteten Dateien ausschließlich klassische Wege beschritten werden. Im File-Menü finden sich alle Einträge zum Öffnen und Speichern von Dateien, die man von klassischen Programmen aus der Mac- und Windows-Welt seit Jahrzehnten kennt. In diesem Bereich hat die bewährte Konkurrenz die Nase vorn. Das ebenfalls Markdown unterstützende Schreibwerkzeug nvALT setzt auf ein Konzept, das sich viel flüssiger in den Workflow seines Nutzers eingliedert. Ein Datei-Menü sucht man hier vergebens, da das Derivat der populären Mac-Freeware Notational Velocity Dateien einfach per Texteingabe und im Hintergrund sucht, findet, bei Bedarf anlegt und selbstverständlich das Geschriebene auch ständig automatisch abspeichert. Das erledigt das Tool des amerikanischen Entwicklers Brett Terpstra ganz unbemerkt in jedes Verzeichnis, das der Nutzer vorab eingestellt hat. Natürlich kann das beispielsweise auch ein Dropbox-Verzeichnis sein, so dass man mit einem in nvALT begonnenen Text auch jederzeit auf einem anderen Computer oder einer anderen Plattform weiterarbeiten kann.

Im Gegensatz zu Writer wartet nvALT mit einer geradezu dramatischen Bandbreite von Einstellungsmöglichkeiten auf. Neben den gewohnten Stellschrauben im Einstellungs-Menü kann der engagierte Nutzer auch per HTML und CSS das System nach seinen individuellen Wünschen konfigurieren. Nimmt er sich dafür etwas Zeit, so kann er problemlos eine Oberfläche generieren, der an Simplizität und reduzierter Anwenderfreundlichkeit kaum etwas zu den Qualitäten des neuen, japanisch-schweizerischen Platzhirschs fehlt. In meiner eigenen, präferierten und bewährten Konfiguration stellt nvALT auf einer einzelnen 13,3-Zoll-MacBook-Screen ganze 43 Zeilen dar und bietet damit eine weit bessere Übersicht über den gesamten Text als sein neuer Mitbewerber. Daneben lässt nvALT auch die systemweite Rechtschreibprüfung des Mac auf seine Oberfläche, wenn der User dies möchte. Vollbildmodus, Wörter zählen und ein übersichtliches Schriftbild dank Konsolenschrift: All das kann nvALT ebenso gut wie der iA Writer. Was das amerikanische Tool optisch nicht so hübsch beherrscht wie die schweizerisch-japanische Konkurrenz, ist die Inline-Darstellung der Markdown-Auszeichnungen. Dafür bietet es allerdings eine Vorschau, in der jeder Text in seiner gestalteten Form betrachtet werden kann. Mehr noch, eine Version mit kompletter HTML-Auszeichnung liefert nvALT auch gleich noch dazu. Und was jeden Nutzer zusätzlich freuen wird: Im Gegensatz zum Writer ist nvALT kostenlos downloadbare Donationware.

Das Fazit: Der neue, vielgepriesene Writer (Screenshot in voller Größe) von Information Architects ist ein feines aber nicht ganz billiges Tool für Menschen, die ihren Mac einfach nur als Schreibmaschine benutzen, mit riesengroßen Buchstaben auf dem Bildschirm glücklich sind und sich an immer wieder nervös aufblinkenden und verschwindenden Titel- und Statuszeilen nicht stören. Dagegen präsentiert sich nvALT (Screenshot in voller Größe) als vielfältig konfigurierbares Nerd-Tool zum minimalistischen Schreiben, das sich optimal in den eigenen Workflow einpasst und das sich obendrein nach Herzenslust gratis ausprobieren lässt. Dieser kurze Test und Vergleich beider Schreibwerkzeuge ist mit dem Writer von iA entstanden, unzählige frühere Artikel, Texte und Übersetzungen in den vergangenen Monaten mit nvALT. Mein persönliches Resultat: Bis auf Weiteres werde ich ganz sicher bei meiner bewährten Lösung bleiben, aber die weitere Entwicklung des Writer, der seine iPad-Herkunft für die Mac-Welt einfach noch etwas zu deutlich zeigt, mit Interesse weiter beobachten.

Weitere Informationen

iA-Gründer Oliver Reichenstein hat bei Golem ein bemerkenswertes Interview zu seiner neune Software gegeben. Ebenso ist im Unternehmensblog von Information Architects jüngst ein höchst interessanter Beitrag erschienen, in dem sich Reichenstein mit der Thematik der Finanzierung von Nachrichtencontent auseinandersetzt.

Wer an nvALT gefallen findet, dem seien auch die anderen Projekte von Brett Terpstra ans Herz gelegt. Das Instapaper-Add-on Instapaper Beyond und die WordPress-Erweiterung Markdown QuickTags sind zwei der Alltagshilfsmittel, die ich ebenfalls nicht mehr missen möchte.

Von Kommentaren zu diesem Artikel, die Programme wie OmmWriter und ähnlichen Firlefanz anpreisen, der unter dem Deckmäntelchen des Focused Writing mit eigentümlichen Bild- und Klangeffekten von der eigentlichen Arbeit ablenkt, bitte ich abzusehen. Vielen Dank.