In der süddeutschen Kleinstadt, in der ich aufwuchs, existierten drei Vereine junger Menschen, die fast ausnahmslos aus den gleichen Mitgliedern bestanden: Die Briefmarkensammler, die Aquarienfreunde und die Junge Union. Das fast identische Grüppchen ausnahmslos männlicher Jugendlicher traf sich also wöchentlich an drei unterschiedlichen Wochentagen, um gemeinsam über die Freuden des Briefmarkensammelns sowie der Zierfischzucht zu sprechen, oder auch bisweilen gemeinsam mit den Vertretern der Mutterpartei die BASF oder das Mercedeswerk zu besichtigen.

Wir andern Jugendlichen aus dem Städtchen waren derweil damit beschäftigt, auf den Bänken des abends verwaisten Schulhofs herumzuknutschen, Rockmusik zu hören, unsere Mopeds zu frisieren und Partys zu feiern, die sicherlich nicht halb so wild waren, wie wir uns das gewünscht hätten. Die braven, selbst in der Pubertät vollständig angepassten Mitglieder der jungen, briefmarkenzüchtenden Aquarien-Union beäugten wir mit Argwohn, lagen die Interessen doch so weit auseinander.

Heute, etwa 35 Jahre später, sind aus den wilden Mädchen und Jungs von damals brave Bürger geworden. Ärztinnen und Handwerksmeister, Ingenieure, Unternehmerinnen und Landwirte. Und bei fast allen sind die eigenen Kinder auch schon seit einigen Jahren wieder aus dem Haus. Offenbar hat es sich doch wieder einmal bewiesen, dass der der eine oder andere Exzess gar nicht so schädlich ist, um den rechten Weg zu finden und überzeugt zu gehen. Wie hatte doch ein griechischer Philosoph schon über 2300 Jahre zuvor geschrieben:

Soviel jedoch gelte nun als ausgemacht, daß der mittlere Habitus zwar in allen Dingen lobenswert ist, daß man aber hin und wieder nach seiten des Zuviel oder des Zuwenig abweichen muß, um die Mitte und das Rechte leichter zu treffen.
(Aristoteles: Nikomachische Ethik, 2. Buch 9. Kapitel)

Ach so, was aus den Briefmarkensammlern, Aquarienfreunden und Jungunionlern geworden ist? Der eine ist heute Bürgermeister des kleinen, süddeutschen Städtchens. Ein anderer ist Landrat des Landkreises, in dem das Städtchen liegt. Und einige sind, so hört man, Beamte geworden und harren bereits ihrer Frühpensionierung.