Zu Weihnachten 1899 schenkte Dora Ruhstrat aus Oldenburg ihrem Cousin August Tasche ein ledergebundenes Buch mit leeren Seiten, das marketinggeprägte Menschen des beginnenden dritten Jahrtausends wohl als Moleskine bezeichnen würden. In diesen Band sollte Vetter August hineinschreiben, was er selbst las und was ihm wichtig genug war, um es zu verarbeiten und es nicht zu vergessen. Auf die erste Seite schrieb Dora als Widmung:
Was die flüchtgen Tagesblätter bringen
Ist dem Sinn gar bald entschwunden –
Hast Du Wert darin gefunden
Halt es hier im Buch gebunden –
Und du wirst Dich selber finden.
Nicht so viel anders als der Grund, aus dem viele Menschen in meinem Umfeld heute bloggen. Das analoge Blog August Tasches – meines Urgroßvaters – schien sich jedenfalls zu bewähren: 26 Jahre lang füllte er die Seiten dieses Buchs und eines Folgebandes, insgesamt etwa 600 Seiten. Es ist nicht bekannt, ob zu seinen Lebzeiten jemals ein anderer Mensch in diesen Büchern gelesen hat. Für mich werden sie jedenfalls in den kommenden Tagen eine spannende Lektüre sein. Und das ganz ohne Flattr-Button.
Johannes
Durch den Kommentar in Antje Schrupps kam ich hierher und bin ganz angetan von diesem Beitrag! Da ist einerseits die schöne Widmung und andererseits auch der Schluss. Denn dieser gibt mir doch zu denken. Auch wenn zu des Urgroßvaters Zeiten kein anderer Mensch in diesen Büchern gelesen hat, aber können/werden unsere Blogposts überhaupt so langlebig sein wie die Notizen in diesen seinen Büchern?
Barney vom Seewolf
Toll. Einfach nur schön… Und der Beweis dafür, daß vermeintlich ganz Modernes (Blog use.) überhaupt nichts Neues, sondern ein seit Menschengedenken genutztes Vehikel zur Selbstbesinnung und Verarbeitung des Erlebten…