Heute tritt sie also erstmals zusammen, die Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung. Das Gremium, das in den Medien auch oft als Rat der Weisen oder Ethikrat für Atomkraft bezeichnet wird, wurde von der Bundeskanzlerin Angela Merkel eingesetzt. Es soll in den kommenden drei Monaten die Risiken rund um Kernkraft und Reaktorsicherheit bewerten und einordnen. Die Kanzlerin erklärte laut einer Presseerklärung der Bundesregierung anlässlich der Einsetzung der Kommission:
Das heißt, sie wird sich auf der einen Seite mit den Fragen der Sicherheit der Kernenergie beschäftigen. Auf der anderen Seite gehe es aber auch um die Schlüssigkeit der Frage: Wie kann ich den Ausstieg mit Augenmaß so vollziehen, dass der Übergang in das Zeitalter der erneuerbaren Energien ein praktikabler, ein vernünftiger ist?
Obwohl die Einsetzung dieser Kommission ein großes Medienecho fand, wurde über ihre genaue, personelle Zusammensetzung nur wenig berichtet. Wertet man die in Wikipedia auffindbare Mitgliederliste aus, so stellen die Kirchen drei der insgesamt zwölf Delegierten, Forschung und Lehre weitere drei, Politik und Industrie je einen. Interessant sind allerdings die vier Mitglieder, die aus anderen regierungsamtlich eingesetzten Kommissionen, die ethische Aufgaben verfolgen, rekrutiert wurden. Von diesen werden drei vom Rat für Nachhaltige Entwicklung gestellt, ein weiterer vom Deutschen Ethikrat.
Die 15 Mitglieder des Rats für Nachhaltige Entwicklung werden von der Bundeskanzlerin für die Dauer einer Legislaturperiode berufen. Derzeit sind vier altgediente Politiker, vier Wirtschaftsvertreter, ein Kirchenmann, eine Vertreterin von Forschung und Lehre, drei Naturschutz-Funktionäre, ein Gewerkschafter und ein Bauernvertreter Mitglied des Gremiums. Ernstzunehmende Perspektiven einer wirklich nachhaltigen Orientierung von Staat und Wirtschaft konnte oder wollte der Rat seit seiner Gründung im Jahr 2001 bislang leider noch nicht liefern. Die oft vorgetragene Kritik, die aktuelle Bundesregierung habe den Nachhaltigkeitsrat als grünes Feigenblatt wohl oder übel übernehmen müssen und und sei an einer wirklichen Entwicklung in diesem Bereich gar nicht wirklich interessiert, konnte bis heute nicht völlig ausgeräumt werden.
Der Deutsche Ethikrat hat 26 Mitglieder, die je zur Hälfte von der Bundesregierung und vom Bundestag vorgeschlagen und vom Bundespräsidenten ernannt werden. Hier sind Forschung und Lehre mit elf Delegierten aus dem universitären Umfeld besonders stark vertreten. Fünf weitere Mitglieder haben die Politiker mit verdienten Kollegen aus den eigenen Reihen bestückt, vier kommen aus dem kirchlichen Bereich, daneben gibt es noch drei Juristen und drei weitere Ratsmitglieder, die nicht eindeutig zuzuordnen sind. Wie auch der Nachhaltigkeitsrat, handelt es sich beim Ethikrat eine Gründung aus der Zeit der rot-grünen Koalition. Er wurde ebenfalls 2001, damals unter dem Namen Nationaler Ethikrat, gegründet. Das Gremium tagt normalerweise einmal monatlich und soll die Bundesregierung und den Bundestag in gesetzgeberischen Verfahren beraten. Traditionell nimmt dabei die Bioethik einen breiten Raum ein.
Diese beiden älteren Gremien nehmen nun also ihrerseits Einfluss auf die Ethikkommission für eine sichere Energiegewinnung. Betrachtet man die drei von der Staatsspitze eingesetzten Kommissionen, die sich mit ethischen Fragen beschäftigen, gemeinsam mit den Interessensgruppen, die deren Mitglieder Stellen, so ergibt sich folgendes Bild:
Die Ziffern geben die Zahl der jeweiligen Akteure an.
Zu erkennen ist ein enges Geflecht von Interessensvertretungen, das parallel zu den grundgesetzlichen Demokratiestrukturen aufgebaut wurde und das nun intensiv auf Regierung und Gesetzgebung Einfluss nimmt. Interessant ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass von den insgesamt 49 Akteuren des paralleldemokratischen Ethiknetzwerks nur noch ganze acht aus dem kirchlichen Umfeld stammen. Offenbar haben inzwischen selbst für die Parteien mit einem C im Namen andere Interessensgruppen ein mächtigeres Wort in ethischen Fragen. Die detaillierte Eingliederung aller Mitglieder der drei Gremien zu einer einzelnen Gruppe ist jedoch nur schwer möglich, da einige der Akteure mehrere Funktionen in unterschiedlichen Interessens- und Lobbygruppen innehaben.
Insgesamt könnte man in Anbetracht der verstrickten Ethikgremien fast den Eindruck gewinnen, dass hier gerade an einer neuen Staatsethik, Staatsphilosophie oder gar an einer Art neuer Staatsreligion gestrickt wird. Mit der ursprünglichen Intention der Väter des Grundgesetzes für Demokratie und Gewaltenteilung hat ein derartiges Konstrukt jedoch fraglos nichts mehr zu tun.