Dulce bellum inexpertis.
Erasmus Desiderius von Rotterdam, 1465 – 1536
Das Militär. Sein klassischer Auftrag ist das Führen von Kriegen zur Durchsetzung der Interessen von gesellschaftlichen Gruppen und insbesondere Staaten. Während das Militär seiner Aufgabe früher vornehmlich durch das Erschlagen und Erstechen des Gegners nachkam, ging man später zum etwas distanzierteren Erschießen über. In einer Zeit zunehmender Mechanisierung der Kriegsführung kamen schließlich für die Soldaten auch noch weitere Aufgaben, wie das Zerstören von Geräten und Infrastruktur, hinzu.
In der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts waren die Militärkräfte ihrer Arbeit in den großen Kriegen mit etwa 75 Millionen Todesopfern dann wohl doch etwas überengagiert nachgekommen. Offenbar hatte man danach erst einmal die Nase voll und gründete die Bundesrepublik Deutschland zunächst als Staat ganz ohne Militär. Doch die pazifistische Freude währte nicht lange. Mit einem kurzen Umweg über den paramilitärischen Bundesgrenzschutz wurden bereits 1955 wieder Streitkräfte im jungen Land in Dienst gestellt. Schließlich befand man sich im Kalten Krieg, einem Szenario, während dem es in Mitteleuropa freilich nie zu Kampfhandlungen kommen sollte.
Mit dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts entfiel der gefühlte und politisch gewollte Feind schließlich ganz. In einer Situation, in der das Militär eigentlich vollends obsolet geworden war, vergrößerte sich die Stärke der deutschen Streitkräfte dennoch schlagartig um 20.000 Mann. Schließlich galt es, auch den Soldaten des früheren Feindes DDR eine neue berufliche Heimat zu geben. Nach und nach konnte zwar die Truppenstärke reduziert werden, ganz abschaffen wollte die Politik das geliebte Militär dennoch nicht. Folglich kam man nicht umhin, sich für die eigentlich überflüssigen Soldaten neue Aufgaben einfallen zu lassen.
Dummerweise hatte sich aber im Laufe der Jahrhunderte an der Ausbildung der Soldaten nur wenig Grundsätzliches geändert. Nach wie vor waren das möglichst effiziente Töten und Zerstören sowie das Bedienen der hierzu als erforderlich angesehenen Maschinen die Kernkompetenzen der Uniformträger. Nachdem diese Fähigkeiten in den meisten Gesellschaftszweigen zumindest in Friedenszeiten und im eigenen Land weniger gefragt waren, suchte man sich einfach neue Aktionsfelder. Beispielsweise wurde nun plötzlich dazu aufgerufen, wie es der damals amtierende Kriegsminister treffend formulierte, Deutschland nicht mehr nur in Hindelang, sondern auch am Hindukusch zu verteidigen.
Allfällige Besetzungen fremder Länder, von der Verfassung freilich strikt untersagt, wurden kurzerhand zu Friedensmissionen deklariert, denen man sich, so argumentierte man, leider überhaupt nicht entziehen könne. Schließlich waren ja die Streitkräfte befreundeter Staaten auch mit von der Partie. Und der Aufforderung eines Freundes erteilt man eben nur ungern eine Absage. Insbesondere dann, wenn in den neu erworbenen Kolonien und Vasallenstaaten über kurz oder lang viel Geld zu verdienen ist, lehnte die Politik – immer den Interessen der nationalen Wirtschaft verbunden – solche Freundschaftsdienste nur sehr ungern ab.
Dennoch schien das Militär zunehmend etwas unausgelastet. Wirklich viel zu Tun gab es mit den Besatzeraufgaben im ehemaligen Jugoslawien, am Horn von Afrika und in Afghanistan nun auch nicht, und Einsätze im Inneren des eigenen Landes waren nach wie vor höchst unpopulär. Schließlich, unter der Führung eines jungen Ministers von ungekannter Hoffart und Dynamik, beschloss man, die Truppen drastisch zu reduzieren. Sogar die Wehrpflicht, bis dahin als Schule der Nation für unabdingbar gehalten, wurde zur Disposition gestellt. Zeichnete sich gar das Verschwinden des Militärs in seiner gesamten, gesellschaftlichen Tragweite ab? Nein, weit gefehlt!
In all dieser Zeit wurden nämlich im deutschen Militär stets die Traditionen hoch gehalten. So wurde die formelle Neugründung nach dem Zweiten Weltkrieg der nun Bundeswehr genannten Streitkräfte auch gleich programmatisch auf den 200. Geburtstag des preußischen Militärstrategen Gerhard von Scharnhorst gelegt. Nachdem die Offiziere der neuen Armee überwiegend der nationalsozialistischen Wehrmacht entstammten, bereitete das Fortführen von bewährten Traditionen ohnehin nur geringe Probleme. Dennoch wurden diese zur Sicherheit in in den Jahren 1965 und 1982 noch mit gesetzesartigen Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr festgeschrieben.
In diesem Habitat konnten sich denn die Streitkräfte zur größten Einrichtung gelebter Musealität in Deutschland entwickeln. Ein jährlicher Etat von über 31,5 Milliarden Euro, immerhin ein gutes Zehntel des Bundeshaushalts, macht's möglich. Und so feiern beim Militär nicht nur das feierliche Gelöbnis der Rekruten bei Fackelschein und der Große Zapfenstreich fröhliche Urständ, nein, hier werden auch Militaria gesammelt und ausgestellt, Kriegerdenkmäler erhalten und die Marschmusik gepflegt. Aber auch einzelne Truppenteile haben sich ihre traditionellen, lieb gewonnenen Gepflogenheiten bewahrt: Angehende Gebirgsjägern nehmen rohe Leber, Frischhefe und Alkohol bis zum Erbrechen zu sich, Infanteristen werden in Spinde gesperrt, die herumgeworfen werden, Fliegern wird der Allerwerteste mit einer Bohnermaschine traktiert und bei der Marine badet man beim Überqueren des Äquators in Essensresten.
Nachweislich bewegen sich die Streitkräfte somit auf der Höhe der aktuellen abendländischen Kultur, eng verwoben mit Jahrhunderte alten Traditionen. Damit muss auch dem ignorantesten Zivilisten klar werden: Die bewährte Traditionspflege der Soldaten darf sich nicht länger auf rein Militärisches beschränken. Denn niemand anderes könnte sich besser um den Erhalt der Traditionen des ganzen Volkes bemühen, als das eigentlich ja obsolet gewordene Militär. Es bedarf nur weniger, kleiner Schritte: Leerstehende Kasernen werden zu Museen, Truppenübungsplätze zu pädagogisch wertvollen Freizeitparks und über allem wacht der heutige Verteidigungsminister, als Mann von Adel dem Altehrwürdigem ohnehin eng verbunden, in seiner neuen Rolle als Bundestraditionsminister.
Dass das Volk bereit ist, seine Steuergelder in Überliefertes und schöne Erinnerungen investiert zu sehen, steht außer Frage. Schon engagieren sich auch die ersten Journalisten in dieser drängenden Sache. So forderte jüngst eine Pressevertreterin von der Waterkant in militärisch-knappem Ton:
Welch glückliche Zeit, in der die Menschen ihre schönsten Kindheitserinnerungen mit dem Militär verbinden. Aus der Kriegsmaschinerie ist offenbar schon heute eine Romantikmaschine geworden. Wie schön, dass wir heute unsere Kriege fernab von dort führen lassen können, wo wir sie selbst wahrnehmen!
Friedel Patzak
Well done!