Das Provinzstädtchen Goslar am Harz hat schon bessere Zeiten gesehen. Doch einmal im Jahr liegt die ehemalige Kaiserstadt im Zentrum des Interesses. Dann nämlich findet dort, immer Ende Januar, der Deutsche Verkehrsgerichtstag statt. Bereits 1963 wurde die Veranstaltung erstmals durchgeführt, und ständig ist sie gewachsen. Heute kommen bereits fast 1.600 Teilnehmer in der Kaiserpfalz und einem Tagungshotel zusammen. Wie zahlreiche Medien getreu gleichlautender Agenturmeldungen berichten, sind die aus der Tagung resultierenden Ergebnisse und Empfehlungen zwar für den Gesetzgeber unverbindlich, fließen jedoch häufig in die aktuelle Gesetzgebung ein. Und so endet die Tagung auch stets mit so genannten Empfehlungen, in denen die Veranstalter zusammenfassen, welche Gesetzesänderungen sie denn nun gern hätten.
Ist dieser Deutsche Verkehrsgerichtstag also eine demokratische Institution? Bei genauerer Betrachtung liegt kaum eine Vermutung weiter entfernt. Der Veranstalter, der dem Gesetzgeber seine Wünsche diktiert, ist ein Verein mit dem sperrigen Namen Deutscher Verkehrsgerichtstag – Deutsche Akademie für Verkehrswissenschaft – e. V. in Hamburg. Mitglieder, so die Satzung des Vereins, können alle volljährigen, an der Verkehrswissenschaft und der Verkehrspraxis interessierten Personen sein. Und weiter: Juristische Personen sowie Behörden und Verbände können korporative Mitglieder werden. Über die genaue Zahl und Zusammensetzung der Mitglieder schweigt sich die Internetpräsenz des Vereins, dem derzeit der Generalbundesanwalt a. D. Kay Nehm vorsteht, lieber aus.
Mehr Informationen gewährt da schon das Programm der Veranstaltung. Hier prägen in erster Linie die Vertreter von Versicherungen, Verbänden, Finanzierungsgesellschaften und vor allem von Juristen, die wiederum deren Interessen vertreten, als Referenten das Meinungsbild der Teilnehmer. So verwundert es auch nicht, dass sich diese Brancheninteressen der verkehrsabhängigen Wirtschaft auch im Vorstand des Trägervereins widerspiegeln, in dem auch der ADAC und die von der autoaffinen Wirtschaft getragene Deutsche Verkehrswacht je einen Sitz haben.
Alles in allem scheint es sich beim vielbeachteten Deutschen Verkehrsgerichtstag also viel mehr um eine gut eingeführte Lobbyorganisation mit angegliederter Konferenz zu handeln. Die Großen der Branche verrichten ihren Dienst natürlich eher in bewährter Stille. Unerfahrenere Lobbyisten, wie der gewerkschaftseigene Auto Club Europa, posaunen ihre Forderungen aber auch schon einmal vorab laut in die Öffentlichkeit, um sich mehr Gehör zu verschaffen. Die Politik ist's allerdings gewöhnt, und so kommt der Bundesverkehrsminister sogar selbst brav nach Goslar gereist, um sich das Briefing der Lobbyisten abzuholen.
Doch manchmal scheinen die Politiker die geballten Macht der Wirtschaftsinteressen dennoch nicht ausreichend zu würdigen. Es ist manchmal eine Ochsentour. Manche Themen müssen immer wieder diskutiert werden, so der Präsident des Verkehrsgerichtstags gegenüber der dpa. Aber dennoch möchte man nicht klagen: Irgendwann ist das Feld dann so bestellt, dass der Gesetzgeber nachzieht. Und dabei hatte man schon fast befürchtet, Regierungen und Parlamente könnten versehentlich im Sinne der Bürger entscheiden.
Was wohl geschehen würde, wenn Bürger paralleldemokratische Institutionen wie den Deutschen Verkehrsgerichtstag durch ihre massenhafte Mitgliedschaft demokratisch unterwandern und die Entscheidungen auf diesem Wege in ihrem Sinne beeinflussen würden?
Markus Petsch Consiliarius
Treffend…: “Die Politik ist’s allerdings gewöhnt, und so kommt der Bundesverkehrsminister sogar selbst brav nach Goslar gereist, um sich das Briefing der Lobbyisten abzuholen.”
Harald Link
Lobbyismus ist ein legitimes Mittel, um in einer Demokratie Interessen durchzusetzen – insofern ist er grundsätzlich nicht schlimm oder schlecht. Die Möglichkeit, Politiker und/oder die Öffentlichkeit von den eigenen Vorstellungen zu überzeugen, steht jedem offen und wird daher auch von vielen – Verbänden, Organisationen, Gewerkschaften, Privatpersonen, NGOs etc. – genutzt. Das ist das Wesen einer Demokratie: eigenen Vorstellungen und Ideen zu einer Mehrheit zu verhelfen, um sie realisieren oder durchsetzen zu können. Die einen betreiben das erfolgreicher, die anderen weniger, die dritten gar nicht (und klagen gleichzeitig das Tun der anderen oft als verwerflich an).
Entscheidend ist das “wie”, also die Frage, ob Lobbyismus “getarnt” oder hinter verschlossenen Türen oder transparent und für die Öffentlichkeit nachvollziehbar stattfindet. Zur Transparenz hat dieser Artikel beigetragen, insofern: vielen Dank.