Männig

Philosophie im Wandel

Aus unserer kleinen Serie Philosophie im Wandel der Zeiten heute:

Die Gerechtigkeit

Text 1:

Du glaubst, die Schaf- oder Rinderhirten sehen auf das Beste ihrer Schafe oder Rinder und haben, wenn sie sie mästen und pflegen, etwas anderes im Auge als das Beste ihrer Herrn und ihr eigenes Bestes, und ebenso glaubst, die in einem Staate Regierenden, wenn sie wahrhafte Regierer sind, seien gegenüber den Regierten anders gesinnt, als man es Schafen gegenüber ist, und denken Tag und Nacht an etwas anderes, als wie sie sich selbst nützen können. Und so sehr bist du auf dem Irrwege in bezug auf das Gerechte und die Gerechtigkeit und das Ungerechte und die Ungerechtigkeit, daß du nicht einsiehst, wie die Gerechtigkeit und das Gerechte in Wahrheit das Beste eines andern ist, nämlich das dem Überlegenen und Regierenden Zuträgliche, für den Gehorchenden und Dienenden aber der eigene Schaden, und wie die Ungerechtigkeit das Gegenteil ist und die in Wahrheit Einfältigen und Gerechten regiert, und wie die Regierten das ihm Zuträgliche tun, weil er überlegen ist, und ihn durch ihr Dienen glücklich machen, sich selbst aber schlechterdings nicht.

Und daß der Gerechte dem Ungerechten gegenüber allenthalben im Nachteil ist, davon muß man, du einfältiger Sokrates, auf folgende Weise sich überzeugen: Fürs erste im gegenseitigen Verkehr wirst du, wenn ein solcher mit einem solchen Gemeinschaft hat, bei Auflösung der Verbindung niemals finden, daß der Gerechte gegen den Ungerechten im Vorteil ist, sondern vielmehr im Nachteil; dann in den Beziehungen zum Staat zahlt der Gerechte, wenn es sich um Steuern handelt, vom Gleichen mehr, der andere weniger; und wenn es sich ums Einnehmen handelt, so macht der eine keinen, der andere vielen Gewinn. Und wenn beide ein Amt bekleiden, so trifft den Gerechten wenn kein anderer so jedenfalls der Nachteil, daß sein Hauswesen infolge der Vernachlässigung in schlimmeren Stand kommt und er aus der Staatskasse keinen Nutzen zieht, weil er gerecht ist, und daß er außerdem verhaßt wird bei seinen Angehörigen und Bekannten, wenn er ihnen nicht dem Rechte zuwider dienen will; bei dem Ungerechten aber ist alles dieses umgekehrt: ich meine nämlich denjenigen, von dem ich eben gesprochen, den, welcher imstande ist, seinen Vorteil in großem Maßstabe zu verfolgen.

Diesen mußt du in Betracht ziehen, wenn du beurteilen willst, um wie viel mehr es ihm persönlich zuträglich ist, ungerecht zu sein, als gerecht. Am allerleichtesten aber wirst du es einsehen, wenn du an die vollendetste Ungerechtigkeit herangehst, die den, der Unrecht begeht, ganz glücklich macht, die aber, welche Unrecht leiden und nicht Unrecht tun mögen, ganz unglücklich. Das heißt aber Tyrannei, die das fremde Gut nicht stückweise wegnimmt, sowohl heimlich als mit offener Gewalt, Heiliges und Erlaubtes, Persönliches und Öffentliches, sondern alles zusammen. Wenn jemand von diesen Ungerechtigkeiten eine einzelne begangen hat und es an den Tag kommt, so wird er gestraft und hat die größte Schande; denn Tempelräuber und Seelenverkäufer und Einbrecher und Räuber und Diebe heißen diejenigen, welche solche Freveltaten einzeln verüben. Wenn aber jemand außer der Habe der Bürger auch noch sie selbst in seine Gewalt bringt, so bekommen sie statt jener beschimpfenden Benennungen die Titel „glücklich“ und „preiswürdig“, nicht bloß von den Staatsangehörigen, sondern auch von allen andern, die vernehmen, daß er die Ungerechtigkeit im Großen treibt; denn nicht weil sie das Ungerechte zu tun, sondern weil sie es zu leiden fürchten, schmähen auf die Ungerechtigkeit die, welche sie schmähen. So ist denn also, Sokrates, die Ungerechtigkeit, wenn sie auf tüchtige Weise geschieht, etwas Stärkeres und Edleres und Gewaltigeres als die Gerechtigkeit, und wie ich von Anfang an sagte: das dem Überlegenen Zuträgliche ist das Gerechte, und das Ungerechte ist das, was einem selbst nützlich und zuträglich ist.

Monolog des Thrasymachos in Plato: Politeia, 370 v. Chr.

Text 2:

Ich denke, das 1:1 war gerecht.

Lukas Podolski, 2010