Männig

Grüne Mode?

Eigentlich blogge ich ja gar nicht. Weder ist diese Seite ein Internet-Tagebuch, dazu schreibe ich nämlich viel zu selten, noch ein Journal, denn dazu fehlt das durchgängige Thema oder auch nur irgendwelche wirklichen Themenschwerpunkte. Eigentlich schreibe ich hier nur hin und wieder über das, was mich gerade beschäftigt. Ohne Strategie, ohne Ziel, mehr zur Vertiefung der eigenen Gedanken, mal zum einen und mal zum anderen Thema.

Und doch hat mich vor einigen Tagen ein Stöckchen erreicht, einer dieser Kettenbriefe der Blogosphäre, mit denen man aufgefordert wird, etwas zu einem bestimmten Thema zu schreiben und danach das oder die Stöckchen, einem Staffellauf ähnlich, an einen weiteren Blogger weiterzureichen. Initiator des Stöckchens, das mir von manomama zugetragen wurde, ist das Unternehmensblog der Hess Natur GmbH mit einem Artikel, den Dagmar Reichardt, eine Werbetexterin des Unternehmens, geschrieben hat.

Hess Natur ist eine Gesellschaft des als Primondo firmierenden Versandhandelsbereichs der Arcandor AG, zu dem neben den Großversendern Neckermann und Quelle auch einige weitere Textilversandunternehmen und der Teleshopping-Kanal HSE 24 gehören. Bedingt durch die Insolvenz der Muttergesellschaften Arcandor und Primondo steht die wirtschaftlich recht gesunde Hess Natur GmbH derzeit zum Verkauf. Eine wichtige Zeit also für das Unternehmen, sich über möglichst viele und dabei möglichst kostengünstige Marketingkanälen im Markt zu positionieren.

Dass man, wo doch schon ein eigenes Unternehmensblog vorhanden ist, auch versucht, die Blogosphäre dafür zu begeistern, kostenlos Reklame für Hess Natur zu machen, ist natürlich naheliegend. Und so wurde also der Stöckchen genannte Blog-Kettenbrief unter dem Titel Weshalb trägst du grüne Mode? gestartet. Immerhin verzichtet man auf die aus den Kettenbriefen der Kindertage bekannten Androhungen, was einem widerfahren werde, falls man sich erdreistet, die Stöckchenkette zu unterbrechen. Aber dafür wünscht sich die Hess-Marketingabteilung wenigstens, dass man deren Key Visual samt Logo doch bitte in seinen eigenen Beitrag integrieren möge, was offensichtlich von den einschlägigen Bloggern bislang auch bereitwillig getan wird.

Wenn an dieser Stelle auch darauf verzichten werden soll, Werbung für die Initiatoren zu machen, will ich das mir zugeworfene Stöckchen mit einigen Tagen Verzögerung dennoch aufnehmen. Die Frage des Ursprungsbeitrags, wie man denn zur grünen Mode stehe, erfordert es jedoch, sich mit dem Kreis der Schlagworte grün, bio und öko zunächst einmal umfassender zu beschäftigen. Losgelöst von der Betrachtung des Gesamtsystems sind diese Schlagworte nämlich zunächst einmal überhaupt nicht positiv besetzt.

Ein Beispiel aus dem Alltag: Ein norddeutscher Anhänger von Bioprodukten berichtete mir jüngst stolz, ausschließlich das Biobier einer in der bayerischen Oberpfalz ansässigen Brauerei zu trinken. Mein Einwand, dass nach Betrachtung der Transportwege für Bier und Leergut wohl gar nichts mehr bio sein könne, wollte er nicht gelten lassen. Das Bier sei bio, das sei gesund und damit wichtig, und der Transport, auf welchem Weg auch immer, sei eine ganz andere Sache und ihm sowieso egal. Dieses egozentrische Fokussieren bei gleichzeitigem Ausblenden der Rahmenbedingungen und Sekundärfolgen, die durch das eigene Verhalten entstehen, ist bei Anhängern der einen oder anderen Lebenseinstellung leider nur zu oft zu beobachten.

Im Bereich der Mode beißt sich die Ökokatze gar in den eigenen Schwanz: Es liegt in der Natur der Mode, dass sie einem zyklischen Wandel unterliegt, dass in jeder Saison neue Farben und Formen angepriesen und gekauft werden müssen. Nur selten getragene Kleidung gelangt in den Sekundärmarkt oder gleich in die Altkleidersammlung, weil sie den Ansprüchen an die Aktualität, die Hersteller, Werbewirtschaft und werbeabhängige Publikationen promoten, nicht mehr entspricht.

Das bei dieser Handlungsweise entstehende schlechte Gewissen der Menschen, die ja von produzierender Industrie und Handel gern nur noch als Verbraucher gesehen und bezeichnet werden, beschwichtigt man zunehmend damit, dass man diesen erklärt, er würde ja durch den Kauf immer neuer, eigentlich unbenötigter Waren, etwas Gutes tun. Unzählige Gütesiegel wurden in den letzten Jahren von der Textilbranche kreiert, die den potentiellen Käufern dies symbolisieren sollen und die letztlich nur eines verhindern wollen: Dass der Verbraucher sich über die Zusammenhänge und Folgen seines Konsumverhaltens Gedanken macht und als logische Konsequenz aus diesen Gedanken vielleicht weniger konsumiert.

Und so zeigt sich das auch bei Hess Natur: Auf der Homepage wird die neue Winterkollektion 2009 (Das im letzten Jahr Gekaufte ist veraltet, gar nicht mehr dran zu denken, es noch einmal anzuziehen!) promotet, und darunter finden sich, zur Beruhigung es vielleicht aufkeimenden schlechten Gewissens, die Logos der Unternehmens- und Wirtschaftsinitiativen Fair Ware Foundation, Ethics in Business und fair handeln.

Initiativen dieser Art sind sicherlich zu begrüßen, allerdings können sie immer nur einen geringen Teil dessen wieder gutmachen, was, gefördert durch sie selbst als Marketingtools der Unternehmen, unnötig konsumiert, gekauft und damit produziert und an Ressourcen verschwendet wird. Schlägt die Arcandor-Tochter Hess in ihrem Marketing noch eher moderate Töne an, lassen es andere weit kräftiger krachen. Mit dem an Dreistigkeit und Peinlichkeit kaum zu überbietenden Slogan Kauf dir eine bessere Welt! warb zum Beispiel die Marketingplattform und -community Utopia.de, die seit knapp zwei Jahren versucht, einer in Deutschland vermuteten LOHAS-Klientel geeignete Lifestyle-Produkte anzudienen.

Beschäftigt man sich etwas intensiver mit dem, was zum Thema Umwelt, Zukunft und Bewahrung des Lebensraums Erde seit etwa Mitte der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts geschrieben wurde, dann wird man stets zu der Erkenntnis kommen, dass an einer Einschränkung des unnötigen Konsums längerfristig kein Weg vorbei führt. Zwar beruft sich das gesamte Weltwirtschaftssystem noch heute auf die Notwendigkeit des stetigen Wachstums, jedoch ist allen Experten seit mindestens gut vierzig Jahren bekannt, dass dies aufgrund der begrenzten Ressourcen schlicht nicht dauerhaft möglich ist.

Gutes Gewissen kann man also nicht kaufen, man kann es bestenfalls durch die Beschränkung aufs Wesentliche erwerben. Wie schade, und das, wo doch Verzicht, wie uns die Werbe- und PR-Kampagnen der Unternehmen immer wieder eindringlich wissen lassen, so schrecklich unsexy ist.

Zurück zum Thema, bevor nämlich die Frage gleich in den Kommentaren auftaucht, welche Kleidung ich gern trage. Da wären zunächst vier Hemden, die von einer Bauersfrau im Taubertal vor etwa 25 Jahren für fünf Mark pro Stück für mich geschneidert wurden. Das Material wurde ihr allerdings angeliefert: Etwa 250 Jahre altes, handgewebtes Chiemgauer Leinen, aus dem Aussteuerschrank eines Bauernhofs preiswert erworben. Bei einem der seither vielgetragenen Hemden ist inzwischen der Kragen etwas schäbig geworden und müsste einmal gewendet werden.

Dann ist da noch die geliebte Lederjacke, inzwischen auch über zwei Jahrzehnte im Schrank, nachdem das Futter einmal erneuert wurde. Und der mollige Fleecepullover, den ich, nachdem ich mich dem modernen Plastikzeug lange widersetzt habe, 1993 erworben habe. Freilich, es sind auch viele kurzlebigere Stücke in meinem Kleiderregal, aber im Schnitt dürften selbst T-Shirts fast zehn Jahre auf dem Buckel haben. Und ein etwa 1996 erworbener, etwas unförmig gewordener Pullover von Hess Natur aus 100 % Hanffaser findet sich auch darunter. Offensichtlich also nicht die textile Ausstattung eines fashion victim.

So, genug ereifert. Das Hess-Reklamestöckchen möchte ich nicht aktiv weitergeben. Wer es haben möchte, darf es aber gern hier aufnehmen. Was ich allerdings zum Abschluss noch weitergeben will, sind zwei Lesetipps:

  1. Vester, Frederic: Leitmotiv vernetztes Denken; München 1988
    Der Kybernetiker, er auch Mitglied des Club of Rome war, beschreibt eingänglich die Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft, Kultur, Umwelt und Wirtschaft und schildert, warum ein isoliertes Behandeln einzelner Symptome der immer komplexer werdenden Umwelt nicht mehr funktionieren kann.
  2. Illich, Ivan: Selbstbegrenzung. Eine politische Kritik der Technik; New York 1973
    Eine umfassende Kulturkritik, in der sich der Philosoph und Theologe für eine Beschränkung des Wachstums und der Macht von Industrie und Fachexperten zugunsten einer selbstbestimmteren Menschheit aus autonomen Individuen ausspricht.