Männig

Flash! Web goes TV.

Flash auf Webseiten ist ja in der Zwischenzeit keine ganz frische Erscheinung mehr. Man hat sich daran gewöhnt, dass Webseitengestalter, die keine Lust haben, sich mit den technischen Tiefen von HTML, PHP und CSS zu beschäftigen, grafisch komplexere Lösungen einfach in Adobes Flash zusammenbasteln und in eine Internetseite „einbauen“. Ob Sehbehinderte oder Menschen mit mobilen Endgeräten zugriff auf solche Seiten haben, scheint nicht so wichtig, Hauptsache die Präsentation beim Kunden, der mit schnellem Netzzugang und vollwertigem Computer ausgestattet ist, macht per Beamer und großflächiger Leinwand mächtig Eindruck.

Die ganze Misere der Flash-Webseiten kommt einem allerdings wieder in den Sinn, wenn man die Webseite der Libeskind Villa besucht. Villa ist vielleicht ein etwas irreführender Name, handelt es sich doch um das Empfangsgebäude der Rheinzink GmbH & Co. KG im westfälischen Datteln. Mit der Unterstützung einiger anderer Unternehmen der Bauwirtschaft wurde das Gebäude beim international renommierten Architekten Daniel Libeskind in Auftrag gegeben, um den Baustoff Zink auch einmal im Bewusstsein anderer Zielgruppen als nur bei Dachdeckern und Bauspenglern zu verankern.

Der PR-wirksame Auftritt im Internet, den der geneigte Leser natürlich längst angeklickt hat, wurde von der Kölner Agentur Elastique. Schimmelpfennig, von Bonin GbR unter exzessivem Einsatz von Adobe Flash gestaltet. Bevor man der Seite irgendwelche Informationen entlocken darf, hat man traditionsgemäß erst einmal durch ein Intro-Fegefeuer zu gehen, diesmal bestehend aus dem allmählichen grafischen Aufbau eines Logos und der Unterschrift des Architekten.

Ebenso traditionell hätte man nach dieser Gehorsamsübung normalerweise freien Zugang zu einem Menü, das einem eine eigene Auswahl aus den zur Verfügung stehenden Informationen bietet, doch weit gefehlt: Unvermittelt taucht am rechten Bildschirmrand von Daniel Libeskind als Filmfigur auf, der den verschreckten Seitenbesucher zunächst einmal mit zwei energischen Sätzen zum Thema Architektur belehrt.

Sagte ich am rechten Bildschirmrand? Dies ist natürlich nur der Fall, wenn der Bildschirm auch breit genug ist. Die Gestalter von Elastique scheinen nämlich davon auszugehen, dass jeder wie sie einen 42-Zoll-Monitor auf dem Schreibtisch hat, auf dem der Browser selbstverständlich im Full-Screen-Mode läuft. Ist das nicht der Fall, dann bekommt der Betrachter, dieser armselige Wicht, gegebenenfalls gar nicht zu sehen, weil Libeskind neben dem rechten Bildschirmrand verschwindet. Ob dessen dann laut und deutlich aus dem Off gesprochenen Worten erschrickt er aber umso mehr.

Nachdem diese erste Bewährungsprobe durchgestanden ist, hat sich der Seitenbesucher die Auswahlmöglichkeit aus vier zentral angeordneten Menüpunkten redlich verdient. Damit er sich nicht unnötig entspannt, folgt aber nun eine Horde von Vierecken der Marke Zauberlehrling aufgeregt jeder Mausbewegung. Traut man sich schließlich doch, eine der Auswahlmöglichkeiten zu klicken, dann kommt es, wie es kommen musste: Die Vierecke fliegen etwas umher, bedrohlich auf einen zu, entfernen sich dann jedoch wieder, um den Blick auf eine neue Bildschirmansicht, Screen in der Fachsprache, freizugeben.

Textblock links, Bildmotiv rechts, etwas Grafik-Firlefanz in der Mitte. Eigentlich müsste jetzt alles gut sein, doch bevor man mit dem Lesen beginnen kann, fängt Libeskind, diesmal im Zwergenformat, rechts schon wieder zu plappern an. Allerdings hat man ihn diesmal in ein Kästchen eingesperrt, das von einigen in ihrer Symbolik nur schwerlich deutbaren Icons geziert wird. Man klickt auf eines davon und, oh Schreck, der Libeskind-David wird unvermittelt zum Libeskind-Goliath. Verängstigt klickt man weiter und findet schließlich doch das grazile X, das schließlich mit einem Klick dem schrecklichen Spuk ein Ende bereitet.

Zeit zum Lesen also, und man erfährt in drei durchaus überschaubaren Sätzen, dass es sich eigentlich hier gar nicht um eine Darstellung eines einmaligen Gebäudes handelt, sondern das die Webseite primär dem Verkauf von 30 weiteren, identischen Kopien der Libeskind Villa dienen soll. Ah, ein Designer-Fertighaus von der Stange also! Ob es das ist, was sich solvente Bauherren wünschen? Aber gut ...

Das interaktive Drama setzt sich bei den weiteren Menüpunkten noch verstärkt fort. Stets versucht der Betrachter, Oberhand zu gewinnen, selbst zu bestimmen, was er sehen will, doch nein, er hat mit der fast kriminellen Energie der Elastique-Designer nicht gerechnet. Die haben nämlich an jeder Stelle noch einmal einen Überraschungseffekt eingebaut, der den Betrachter abermals zusammenschrecken lässt. Dreht man beispielsweise wie vorgesehen an der Gebäudeansicht, so verschwindet der gerade wieder laut referierende Architekt schlagartig im Nichts.

Und gerade, wenn man die Ruhe zu genießen und den verkrampften Finger auf der Maustaste entspannt zu lösen beginnt, hebt Liebeskind von rechts wieder an zu predigen. Nicht etwa an der Stelle, an der er zuletzt abgebrochen hatte, nein, er beginnt nach jeder Mausbewegung stets sein Referat von vorn. Ein Teufelskreis! Richtig lustig wird es dann, wenn man zwischenzeitlich in einen anderen Tab des Browsers wechselt. Kehrt man ins Flashkabinett der Libeskind-Villa zurück, dann zappelt der Architekt plötzlich im Zeitraffertempo, glücklicherweise dann aber wenigstens tonlos, im Stummfilm-Modus.

Irgendwann stellt man dann fest, dass einen zwar nach dem Besuch dieser Webseite auch die neueste Hightech-Geisterbahn auf dem Oktoberfest nicht mehr erschüttern kann, man sich jedoch dem Medienterror dieser Webseite nun nicht mehr länger aussetzen will. Zeit also, ein Fazit zu ziehen.

Ein großer Vorteil von Internetauftritten war es bislang, dass es sich um Pull-Informationen handelte, um Informationsmodule also, auf die der Leser, je nach seinen persönlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten, individuell zugreifen konnte. Webseiten standen damit in der Tradition von Printprodukten wie Büchern oder Zeitschriften, die man auch querlesen, Teile überspringen, oberflächlicher oder intensiver lesen kann. Durch geschickten Einsatz von Hyperlinks ließen sich diese Vorteile im Web sogar noch optimieren.

Die Agentur Elastique ging hier im Auftrag ihres Kunden einen anderen Weg. Man versuchte, mit dieser Präsentation eine Art TV auf dem Computer anzubieten. Der Betrachter wird als Informationskonsument gesehen, dem bestimmte, von den selbsternannten Informationsexperten für richtig befundene Informationshappen vorgesetzt werden, in vorbestimmten Zeiteinheiten. Denn über seine Zeit sollte der, nun, nennen wir ihn ruhig Reklamekunde doch nicht etwa selbst bestimmen können, oder?

Zu dumm nur, dass man dennoch Interaktionsmöglichkeiten vorgesehen hat. Immer dann, wenn der Besucher des Flash-Machwerks interagieren will, geht das nämlich gründlich schief, steigern sich die unglücklichen Fügungen ins Spukhafte, ja Bedrohliche. Erst, wenn man schließlich am Rande der psychischen Zerrüttung den Link zum Download des Gebäude-Exposés als PDF-Datei gefunden hat, kann wieder Ruhe einkehren und man widmet sich ungestört der Informationsaufnahme auf diesem Weg. Ein Aufatmen!

Aber es geht noch schlimmer. Leser, die es weiter oben nicht lassen konnten, den Link mit der Webseite der Agentur anzuklicken, haben es schon am eigenen Leib erfahren. Die Navigation ist dort kaum durchschaubar, die Usability unzumutbar, und obendrein ertönt zum ganzen Leid auch noch unsägliches Donnergrollen und Soundgewaber aus den PC-Lautsprechern. Manchmal, ja manchmal, wünscht man sich schon die Zeit zurück, als es außer HTML nichts gab und als Computer bestenfalls einfachste Piepstöne von sich geben konnten.