Männig

Oktogonkapellen in Tauberfranken

Achteckige oder Oktogonal-Grundrisse öffentlicher oder repräsentativer Gebäude sind im Mittelmeerraum seit dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert bekannt. Den Weg über die Alpen hat diese architektonische Mode jedoch erst etwa zwölfhundert Jahre später gefunden. Immer wieder ist zu lesen, dass Kreuzfahrer die Idee achteckiger Gebäude nach Mitteleuropa mitgebracht hätten, jedoch sind erste Beispiele dieser Bauweise vermutlich schon vor den frühesten Kreuzzügen entstanden.

Drei interessante, oktogonale Kirchenbauten aus der romanischen Stilepoche finden sich, nicht weit voneinander entfernt, in Tauberfranken, südöstlich und südlich von Würzburg. Die Kapellen St. Achatius in Grünsfeldhausen, St. Sigismund in Oberwittighausen und St. Ulrich in Standorf sind per Individualverkehrsmittel mit einer Rundreise von etwa 80 Kilometern leicht innerhalb eines Tages zu erfahren und zu besichtigen. Dazwischen erwartet den Neugierigen eine vielfältige Kulturlandschaft mit zahlreichen Möglichkeiten zur Rast und Einkehr.

Wenn auch alle drei der vermutlich um das Jahr 1200 entstandenen Sakralbauten auf einem achteckigen Grundriss beruhen, unterscheiden sie sich doch ansonsten in der Bauausführung ganz erheblich. Ebenso unterschiedlich ist die Wirkung auf den Betrachter, so dass jeder unter den drei Kapellen seinen persönlichen Favoriten finden wird. Eine weitere romanische Oktogonkapelle im heute bayerisch-fränkischen Gaurettersheim ist leider nicht erhalten, da sie im Jahr 1874 einem neuromanischen Bau weichen musste.

Über die drei heute allesamt im baden-württembergischen Main-Tauber-Kreis gelegenen Kapellen ist viel geforscht und geschrieben worden. Die Qualität der meist von heimatkundlichem Interesse geprägten, ortsansässigen Autoren formulierten Erkenntnisse schwankt jedoch stark. Aus der Vielzahl von Spekulativem und Laienhaftem sticht Oskar Heckmanns Dissertation Romanische Achteckanlagen im Gebiet der mittleren Tauber aus dem Jahr 1941 sehr positiv heraus. Das fundierte, 117-seitige Werk mit vielen Bauaufnahmen und Detailzeichnungen erschien in Band 68 des Freiburger Diözesan-Archivs und ist damit heute im Netz als PDF-Datei frei verfügbar.

Achatiuskapelle Grünsfeldhausen

Während ihre beiden Schwestern in Oberwittighausen und Standorf außerhalb der Ortschaften auf Anhöhen gebaut wurden, findet sich die Grünsfeldhauser, dem St. Achatius geweihte Kapelle nahe des heutigen Ortskerns und des vorbeifließenden Grünbachs. Diese Lage hat auch die Geschichte des Sakralbaus erheblich geprägt. Es ist zu vermuten, dass sich das Bodenniveau um die Kapelle seit ihrem Bau um das Jahr 1220 durch Anschwemmungen um drei bis vier Meter angehoben hat. Infolge dessen wurde im Laufe der Zeit auch der Innenboden der Kapelle höher gelegt und ein veränderter Eingang auf Höhe des neuen Bodenniveaus geschaffen.

Erst in den Jahren von 1903 bis 1905 wurde die Kapelle in einem Prestigeprojekt des Badischen Staates wieder aus dem Schwemmland ausgegraben, entwässert und mit massiven Stützmauern gesichert. Man findet St. Achatius deshalb heute in einem merkwürdigen Kessel, dessen Grund gerade genug Raum lässt, um die Kapelle bequem zu umrunden. Bei den Restaurierungsmaßnahmen im frühen 20. Jahrhundert wurde auch der ursprüngliche Eingang des Gebäudes wieder hergestellt. Da bei den Ausgrabungen nur noch die Schwelle und untere Teile der Türstöcke zu finden waren, beinhaltet das Portal freilich einiges an Fantasie der Restauratoren.

Eine im Boden der Kapelle vorgefundene steinerne Zentralsäule lässt vermuten, dass diese früher eine weitere hölzerne Zentralstütze für die Dachkonstruktion aufgenommen hat, eine Konstruktion, die in ähnlicher Form auch heute noch in der Ulrichskapelle auffällt. Die alte Steinsäule dient heute in bearbeiteter Form als Sockel der barocken Marienstatue vor der Kapelle. Das Innere von St. Achatius ist recht schlicht und schmucklos gehalten, die Glasfenster stammen aus der Zeit der letzten Renovierung in den frühen Siebziger Jahren.

Das äußere des Baukörpers beeindruckt, soweit es nicht im Boden verschwindet, durch seine ungewöhnliche Bauform, die gleich drei Oktogone kombiniert. Es deutet dabei einiges darauf hin, dass der Chorraum und der auf die Verbindung zwischen Hauptraum und Chor aufgesetzte, minarettartige Turm erst später an den ursprünglichen Bau angefügt wurden. Der Zeitabstand zwischen den Bauphasen war jedoch offenbar gering.

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Sigismundkapelle Oberwittighausen

Weit schlichter empfängt die Kapelle am östlichen Ortsrand von Oberwittighausen ihre Besucher. Der relativ simple, natürlich wieder achteckige Baukörper versteckt sich hinter hohen Kalksteinmauern und unter einer mächtigen Linde. Man findet die Pforte in aller Regel geschlossen vor, kann sich jedoch den Schlüssel gegen einen kleinen Obolus und die Hinterlegung eines Pfandes im nächstgelegenen Haus im Dorf abholen.

Über die merkwürdige Bestückung des Portals mit den unterschiedlichsten Figuren ist viel geschrieben worden. Einfache Deutungen wie hochkomplexe Interpretationen haben die Heimatkundler hervorgebracht. Während sich den einzelnen Figuren durchaus eine bestimmte Bedeutung zuordnen lässt, scheint eine übergeordnete Interpretation der Komposition eher müßig. Der geübte Betrachter gewinnt eher den Eindruck, dass hier bei einem Wiederaufbau des Portals schlicht das verwendet und möglichst dekorativ zusammengestückelt wurde, was an dieser oder anderer Stelle noch vorhanden war.

Im Inneren der Kapelle erstaunt die Gliederung des Hauptraums. Hier ist die vermutlich einstmals auch vorhandene zentrale Holzsäule in frühgothischer Zeit einem eingebauten, gemauerten Turm gewichen, der sich auf dem Zeltdach des Gebäudes wie ein zentraler Reiter zeigt. Spitzbögen im unteren Bereich erlauben gewisse Blickachsen, zerteilen den Raum aber in eher ungewöhnliche Einheiten, wenn man die übliche sakrale Nutzung eines derartigen Bauwerks bedenkt. Wie der zentral eingebaute Turm ist auch die kleine Apsis des Chorraums erst in einer späteren Bauphase hinzugekommen.

Die genauere Betrachtung der Außenmauern zeigt, wie sehr das Gebäude im Laufe der Jahrhunderte gelitten haben muss: Die Pilaster der Fassade enden meist schon auf etwa zwei Dritteln der gesamten Wandhöhe. Ab diesem Punkt sind die Wände durchgängig mit einfacherem Bruchsteinmauerwerk ausgeführt, während weiter unten präzise gefügte Quader das Bild beherrschen. Eindrucksvoll und beachtenswert sind auch der archaisch anmutende, uralte Taufstein, der massive Opferstock mit der Jahreszahl 1690 und die in den dicken Wänden verborgene Treppe zu Dachstuhl und Turm der Sigismundkapelle.

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Ulrichskapelle Standorf

Durch ihre ehemals zwei angebauten, quadratischen Türme sowie eine halbrunde Apsis ist der oktogonale Grundriss der Ulrichskapelle über der zu Creglingen gehörenden Ortschaft Standorf zunächst nur schwer zu erkennen. Einer der Türme ist jedoch heute bis auf die Traufhöhe des merkwürdigen Dachs abgetragen, was den Betrachter noch etwas mehr verwirrt. Interessant sind die Wandkonsolen an der Ostseite des Turms der Kapelle, auf denen vermutlich einst eine Außenkanzel ruhte. An fast gleicher Stelle ziert den Stumpf des ehemaligen Südturms ein halbzylinderförmiger Erker, der auf einer kunstvoll gearbeiteten Konsole ruht.

Leider ist die kleine Kirche außerhalb der Gottesdienstzeiten am ersten und dritten Sonntag jedes Monats stets verschlossen. Nachdem bereits ab den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts völkische Autoren über einen germanisch-heidnischen Ursprung der Ulrichskapelle schwadroniert hatten, war sie ab den späten Achzigern verstärkt von Esoterikern heimgesucht worden, die in ihr einen Kraftort sahen und die dort ihre Riten zelebrierten. Die evangelische Kirche sah schließlich im Jahr 2008 keinen anderen Ausweg mehr aus dem bräunlich-okkulten Klamauk, als die Kapelle zu schließen und die früher angebotenen Führungen bis auf Weiteres einzustellen.

Was den Innenraum von St. Ulrich besonders interessant erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass hier noch eine Holzsäule vorhanden ist. Wie mittlerweile auch nachgewiesen werden konnte, wurde der Baum, aus dem sie gefertigt ist, zwischen 1209 und 1229 gefällt. Sie scheint damit zur Urausstattung des Gebäudes zu gehören, steht aber offenbar nicht mehr an ihrem ursprünglichen Platz im Zentrum des achteckigen Hauptbaus, wie Heckmann aufgrund konstruktiver Merkmale nachweist. Auch hier scheint aufgrund neuer Techniken des Holzbaus irgendwann die zentrale Stütze nicht mehr erforderlich gewesen zu sein.

An diesem später hinzugefügten Dachstuhl mag Heckmann allerdings kaum ein gutes Haar lassen:

Das unzulängliche Dach aus späterer Zeit überdeckt gleichzeitig Turmstumpf, Chorraum und Zentralbau. Zusammen mit den späteren Fenster- und Türdurchbrüchen sowie der Freitreppe am Oktogon vernichtet es jede architektonische Wirkung des Bauwerks.

Dennoch: Auch der Besuch der Ulrichskapelle lohnt bauhistorisch unbedingt. Und vielleicht werden sich die Gemüter auch irgendwann wieder so weit beruhigt haben, dass der interessante Sakralbau eines Tages wieder regelmäßig einem interessierten Publikum offen steht.

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Ergänzung am 21. Oktober 2012

Ein weiterer Besuch in Tauberfranken. Der Pfarrer der evangelischen Gemeinden in Creglingen und Standorf erklärt sich bei einem Telefongespräch gern bereit, für einen Besuch der Ulrichskapelle hinaus nach Standorf zu kommen. Die Besichtigung dauert dann auch wesentlich länger als eigentlich geplant und eröffnet uns interessante Einsichten und Erkenntnisse zum Innenraum der kleinen Kirche. Hier also noch eine Handvoll Bilder des Interieurs:

Alle Bilder des Innenraums der Ulrichskapelle: Iris Männig