Die umtriebige Unternehmerin Sina Trinkwalder hat gerufen und viele haben ihrem Aufruf Folge geleistet: Wie die geschäftsführende Gesellschafterin eines jungen Augsburger Textilunternehmens haben sie ihre Taschen geleert und ein Foto des Inhalts eingeschickt. Die geniale Marketingaktion bereitet den Start einer Taschenkollektion des Labels manomama vor. Und die Kunden und Fans des Hauses lassen sich gern einspannen. Schließlich hat die ehemalige Werbeagenturchefin und heutige nachhaltige Unternehmen in seit knapp einem Jahr immer wieder vorgemacht, wie man mit den Mitteln des Web 2.0 eine Zielgruppe effizient bearbeitet.
Nachdem 155 willige Verbraucher der Aufforderung Das bin ich - Und du? gefolgt sind, wurde vor wenigen Tagen die Webseite Menschen 2.0 freigeschaltet, auf der die Bilder präsentiert werden. Und es wäre nicht Web 2.0, wenn man nicht weiter mitmachen könnte. Denn zum einen können die Besucher der Seite den Tascheninhalt der Einsender bewerten, zum anderen wurde die Einsendefrist ein weiteres Mal verlängert und eröffnet so auch weiteren potenziellen Kunden die Möglichkeit, sich noch als Unterstützer von Mode und Accessoires Made in Augsburg zu profilieren.
Sicher, die Aktion ist bewundernswert, weil sie das vorbildlich umsetzt, worum die meisten Behörden und Unternehmen in den den letzten Jahren eher verkrampft bemüht sind: Ihre ursprünglichen Kernaufgaben immer mehr den Betroffenen, den Bürgern und den Kunden selbst zu übertragen. Dass sich überzeugte und langjährige Kunden sich als Multiplikatoren und Werbeträger einspannen lassen, wenn man ihnen bestimmte Vorteile und Vergünstigungen gewährt, das haben bereits einige Unternehmen bewiesen. Dass sich aber Menschen, die bisher kein einziges Produkt eines gerade mal drei Monate alten Herstellers in den Händen gehalten haben, für die Reklame dieses Unternehmens rekrutieren lassen, das dürfte in der Tat neu sein.
Was aber verwundert, verwirrt, ja bestürzt, ist, wie sich die Teilnehmer der Aktionen durch ihre Besitztümer inszenieren und zu profilieren versuchen. Denn sorgsam wurde für die Bilder angerichtet, was der Verbraucher 2.0 als repräsentativ für seine Persönlichkeit empfindet. Nur wenige wagen es, ein Bild ihres Besitzstandes ohne mindestens ein Produkt des Hauses Apple zur Veröffentlichung freizugeben. Voluminöse Schlüsselbunde künden von Macht und Einfluss. Seriöse Tageszeitungen werden faltenlos präsentiert, um die Verbundenheit mit klassischen Wertewelten unübersehbar zu machen. Der Neo-Klassiker Moleskine nimmt ebenso einen erstaunlich breiten Raum ein. Und noch immer geht nichts ohne modische Sonnenbrille.
Die gezeigten Autoschlüssel sind vornehmlich solche gehobener Marken, von Marken, die allerdings in Sachen Nachhaltigkeit bislang noch nicht sonderlich aufgefallen sind. Dies erstaunt etwas, da der manomama-Tenor von sustainability und make lokal ja stets unwidersprochen bleibt, ja gern bestätigt wird. Gern mischt sich auch, insbesondere bei Frauen, das eine oder andere Kinderspielzeug oder Bilderbuch scheinbar zufällig in den herumgetragenen Hausrat. Was bei der geballten Selbstinszenierung verwundert, sind neben den Kosmetika die Mengen von Medikamenten, die gemeinsam mit dem sorgsam arrangierten Tascheninhalt abgelichtet wurden. Ein Zeichen dafür, dass man aufgrund seines Erfolgs eben auch unter Stress und somit gesundheitlich unter Druck steht?
Sich aufs Notwendige zu beschränken, das scheint allerdings nicht die Stärke des Menschen 2.0 zu sein. Denn ein Großteil der Einsender trägt trotz der zu unterstellenden Vorselektion vor der Bildaufnahme offenbar ständig Dinge mit sich, die offenbar eher selten gebraucht oder verwendet werden. Über den Inhalt der fast durchgängig geschlossen gezeigten Brieftaschen und Geldbeutel möchte man vor diesem Hintergrund lieber gar nicht spekulieren. Bücher, klassische Taschenbücher, sind dem Smartphone offenbar fast durchgängig gewichen – oder sie haben heute schlicht nicht mehr genügend Prestigewert, um gezeigt zu werden. Kassenzettel, Quittungen und sonstige Belege – normalerweise ein typischer Tascheninhalt – fehlen erstaunlicherweise fast völlig.
Was bleibt, ist die Gewissheit, dass sich der Mensch 2.0 offenbar nicht von seinen Vorgängern seit der Wirtschaftswunderzeit unterscheidet. Nach wie vor definiert er sich am liebsten über seine Besitztümer. You are what you wear. You are what you carry around. You are what your brands are. Schade, denn die schier endlosen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten, die das Internet und World Wide Web wären doch eine so schöne Gelegenheit gewesen, unsere Gesellschaft auf eine neue Basis, die Basis des Wissens zu stellen. Dass die Gesellschaft dennoch weiterhin ihren Konsens am einfachsten in Besitz und Konsum findet, braucht allerdings niemanden zu verwundern: Schließlich ist das Web 2.0 nichts anderes als ein Produkt der Werbe- und Wirtschaftsunternehmen. Und warum sollte sich die eigens geschaffene Zielgruppe, der Mensch 2.0, von deren Werten distanzieren wollen?
Wolfgang Stichler
Vielleicht ist dem so; eine Sendung auf ARTE dieser Tage beschäftigte sich mit dem web 2.0 auch auf ähnlicher Weise.
Was mir fehlt sind die gesellschaftpolitischen Möglichkeiten, die das web bietet, bzw. die Berichterstattung u. Auseinandesetzung.
Obwohl; die Kanzlerin sieht offenbar diese Einschränkung von Macht….
Wolfgang Mederle
Ich würde schon kein Produkt von Manomama kaufen, weil ich den Namen so bescheuert finde, aber ich bin auch nicht die Zielgruppe, wie es scheint. Mir gefallen die Kleidungsstücke nicht, und sie sind mir auch viel zu teuer. Ich gebe keine 50 Euro für ein T-Shirt aus; das kann ökobio sein, wie es will.
Eine Zeitlang habe ich versucht, meinen ökologischen Fingerabdruck zu reduzieren und bla. Kein Auto besessen, stattdessen Carsharing, Fahrrad, ÖPNV, und dafür mein Geld beim Basic gelassen. Viel Geld, denn der Basic ist sehr viel teurer als andere Einkaufsmöglichkeiten. So wie Manomama ist er ein Besserer-Mensch-Laden für Gutverdienende. Mittlerweile bin ich davon abgekommen, mich der Umwelt zuliebe ständig einzuschränken, denn wir werden alles Öl verbrennen, an das wir herankommen, daran habe ich keinen Zweifel mehr, und das ganz unabhängig davon, ob ich mich dem Komfort hingebe oder nicht.
Manomama, Basic und Konsorten sind für den einen, was der BMW X6 für den anderen ist: eine Möglichkeit, sich selbst zu definieren. “Ich bin stärker als Du” vs. “Ich bin besser als Du”. Dazu gehört natürlich auch, daß man mehr Stil hat (Apple-Kram), Kinder bewußt in die Welt setzt und das richtige Blatt liest. Die Schlüsselbunde wundern mich eher, denn, wo deren Größe in China als statusbildend gilt, ist bei uns der mit dem größten doch eher der Hausmeister. Und, bitte, der doch hat gar nicht das Geld, um die Welt zu retten, indem er Manomamas übertarifliche Löhne bezahlt und Arbeitsplätze in Bangladesh vernichtet.
Nachdem Twitter mich auf diese Manomama-Taschenaktions-Seite geführt hat, habe ich mich übrigens gewundert, daß es kein Ranking und keinen Sieger zu geben scheint. Wer hat denn nun den nachhaltigsten Tascheninhalt? Ist einer ohne Autoschlüssel dabei?
Unsere Generation hat noch zu viel Öl und ist damit aufgewachsen, daß immer genug davon da ist. Das Fundament für die Post-Ölgesellschaft werden erst unsere Kinder legen — vielleicht schon die heute Zwanzigjährigen. Ich glaube allerdings, daß auch die Wissensgesellschaft nicht ohne Status auskommen wird. Wahrscheinlich nicht mal ohne Autos.
Tilman Haerdle
Was für ein grossartiger, zum Nachdenken anregender Artikel. Und ein lesenswerter Kommentar von Wolfgang Mederle. Ich kann mich mit vielen Zielen von manomama durchaus identifizieren. Was mich stört ist, dass bei dieser Bewegung das Gutmenschentum wie ein Banner geführt wird. Es wird bei jeder Gelegenheit darauf hingewiesen “Wir sind die Guten”. Aber der Hinweis von W.M. auf die Vernichtung von Arbeitsplätzen in Bangladesh ist richtig, und die Frage muss man sich stellen: “Was ist gut?”. Es geht immer wieder darum zu reflektieren, was die Konsequenzen des eigenen Handeln sind. Und ob man bereit ist, diese mitzutragen. Dann braucht man auch keine Kategorien von Gut und Schlecht mehr. Maximal: Bewusst und Ignorant.
orangeguru
Das “Show your bag, pockets, arse or whatever” ist mal wieder mal wieder eine geklonte US-Action.
Also mal wieder nix neues …
Der Slogan “Besser für alle” entspricht auch dem neuen Öko-Konformismus: konsumierende Selbstkasteiung im Dienste der grünen Masche.
Also mal wieder nix neues …
Die elende Idee des Me-Brands im Web 2.0 ist wie PUR-Schaum für narzisstische Hohlräume.
Also mal wieder nix neues …
Aber das Schöne am digitalen Gutmenschentum ist, daß es gleich so viele Freunde findet. “Language is a Virus” sang Laurie Anderson mal so schön, der hat mit Social Media ist ein neuer Infektionsweg.
Barf! Barf! Ahoi!
Josh von Staudach
Zum Web 2.0 gehört auch: überall seinen Senf dazugeben ;-) … Wobei ich ja seither der Meinung war, das Web 2.0 entstand aus der Entwicklung neuer Anwendungen im Web, wie Foren, Blogs, Wikipedia, Homepages, Twitter, etc., um dem Individuum mehr Ausdrucksmöglichkeiten und Aufmerksamkeit zu ermöglichen. Und erst dann stürzte sich die Marketingwelt darauf, um die Möglichkeiten für sich auszuschlachten.
Was meiner Meinung nach bis heute nicht vernünftig funktioniert. Das Werbe-Business ist völlig überreizt, bzw. überreizt den Konsumenten mit einer Vielzahl von Botschaften auf möglichst allen Kanälen. Ob der Konsument dadurch genervt abdankt, scheint nebensächlich. So werden schließlich die meisten Werbe-Millionen für die Produkte aufgewendet, die die Menschheit am wenigsten braucht. Eigentlich eine simple Erkenntnis: kaufe nie das, was die Werbung dir heiß macht. Oder im Umkehrschluß: kaufe das, was am meisten für sich selbst spricht.
Wobei ich bei den Manomama Produkten angekommen bin (zumindest thematisch). Die empfehlen sich weitgehend selbst. Ob Frau Trinkwalder dabei die ein oder andere Maßnahme aus der Marketing-Trickkiste zaubert und über die Möglichkeiten des Web 2.0 verbreitet, ist geradezu nebensächlich. Es ist im Grunde ‘nur’ eine moderne Mund-zu-Mund-Propaganda vom zufriedenen zum interessierten Konsumenten.
Das Konzept, die Gesamtidee von Manomama ist rundum mit sovielen positiven Aspekten gesäumt, da kann auch das Herumgestocher in der Negativsuppe nichts mehr schlecht machen:
“PUR-Schaum für narzistische Hohlräume.” mag auf Pringles-Werbung oder den BMW X6 zutreffen, aber sicher nicht für Manomama-Produkte oder -Aktionen.
Und wenn Bullshit wie “Arbeitsplätze in Bangladesh vernichtet” verbreitet wird, dann findet sich gleich jemand, der das unreflektiert abschreibt und für richtig erklärt. Auch das ist der Mensch 2.0 im Web 2.0.
Bärbel
Auffällig viele Zigarettenschachteln. Das passt wiederum zur Lohas-typischen Inkonsequenz, so wie der Cayenne vor dem Bioladen.
Wolfgang Mederle
Der Mensch 2.0, das zeigen Untersuchungen, liest auch nur noch quer, spießt Plakatives auf und nimmt sich nicht mehr die Zeit, Argumente zu erfassen. Da hinten wartet ja schon das nächste.
Manomama machen wohl alles richtig, so wie der Basic und American Apparel anfangs alles richtig gemacht haben. Wenn sie sich nicht selbst ein Bein stellen, sie wie die genannten, können sie auch dauerhaft Erfolg haben. T-Shirts für 50 Euro sind ein Nischenprodukt. Wer sie kauft, spendet 30 Euro für sein gutes Gewissen. Ich kaufe mir lieber eins für 20 und verfresse den Rest.
orangeguru
@Josh von Staudach: Für einen selbsternannten “Chefzyniker” verstehst Du anscheinend sehr wenig von dem Thematikum.
Marketing-Trickkiste: Bäh, echte Bessermenschen-Sites wie kommen ohne Tricks und vor allem Kommerz aus.
Also bitte entweder korrektes Gutmenschentum oder handfester Kommerz. Nicht diese verquirlte Ablasshandel.
thistell
@Josh von Staudach: Weshalb wird die nachvollziehbare Behauptung, dass es “Arbeitsplätze in Bangladesh vernichtet” als Bullshit bezeichnet, anstatt mit Argumenten widerlegt?
Wenn es denn Bullshit ist, weshalb?
Frau Elise
Grossartiger Artikel. Danke!
Christina
Ja, was ist Frau ohne Ihre Tasche?
Ich bewundere immer Menschen, meist Männer…die keine Tasche brauchen. Das Geld und die Miles and more-card ganz lässig in der Hosen- und Hemdtasche.
Nicht mal ein Portmonnaie!
Es gibt sie diese Männer.
Ich war mal mit einem Kollegen auf Geschäftsreise, der war so einer, ohne Tasche, ohne Portmonnaie.
Da haben wir beide dann ziemlich alt ausgesehen, als wir den lezten Flieger aus München verpasst hatten und nicht mehr nach Hamburg kamen.
Ich hatte nicht mal eine Zahnbürste in meiner Tasche.
Toller Text, danke!