Normalerweise hält sich ja meine Freude in Grenzen, wenn jemand Werbung in meinen Briefkasten wirft, der mit der Aufschrift Keine Werbung – Keine kostenlosen Zeitungen verziert ist. Mit spitzen Fingern ergriff ich deshalb auch einen neutralen, weißen Umschlag mit der Aufschrift An die Anwohner des Heimstettener Sees, den ich vor wenigen Tagen aus diesem Briefkasten fischte. Heimstettener See, das ist die ein wenig euphemistische Bezeichnung eines Baggerlochs ganz in der Nähe, das der Kiesabbau der Reichsbahn in den dreißiger Jahren zurückließ und dessen mittlerweile begrünte Ufer heute als Erholungsfläche dienen. Wie in Bayern fast unvermeidlich, befindet sich oberhalb des Nordufers ein kleiner Biergarten. Und um genau diesen sollte es beim Inhalt des mysteriösen, weißem Umschlags gehen.
Offenbar laufen sie derzeit nicht allzu gut, die Geschäfte der Gaststätte Heimstettener See. Zeit also für etwas Reklame. Aber was interessant ist: Hier macht nicht der Wirt die Werbung, sondern die Brauerei, die ihn beliefert. Nun haben ja Brauereiverträge in der Gastronomie nur selten einen guten Ruf. Oft sind die Worte Knebelvertrag und sittenwidrig zu hören, wenn man sich nur einmal zu vorgerückter Stunde mit Wirten unterhält. Kein Wunder, denn im Gegenzug zur Kofinanzierung der gastronomischen Einrichtung haben die Wirte oft hohe Abnahmepreise an die Brauerei zu zahlen und nicht selten stöhnen sie über unerreichbare Mindestabnahme-Mengen, denen die Wirte selbst freilich zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in freudiger Euphorie zugestimmt haben.
Umso erfreulicher, wie die Ayinger Brauerei ihrem Wirt vom Heimstettener See unter die Arme greift. Im bewussten Umschlag befindet sich nämlich ein Schreiben der familiengeführten Braustätte aus dem Münchner Südosten. Der Bräu von Aying ist freilich keine große Brauerei. Am Bierausstoß gemessen, produziert sie gerade einmal ein Tausendstel des in Deutschland getrunkenen Bieres. Dennoch hat sie sich zumindest in der Region mit erfreulicher Produktqualität und sympathischem Geschäftsgebaren eine hohe Beliebtheit erarbeitet. Im bewussten Werbebrief preist also auch gleich der Brauereidirektor die Vorzüge des kleinen Biergartens am Heimstettener See an, der die Biere seiner Brauerei führt. Gut, nette Werbung mit Lokalkolorit, das hat man öfter. Aber das freundliche Schreiben aus der Brauerei dient darüber hinaus auch gleichzeitig als Gutschein für eine Halbe Freibier vom Fass im Biergarten und eine große Brezel zum Sonderpreis.
Eine bodenständige und sympathische Aktion, mit der sich die Ayinger Brauerei ins Bewusstsein potenzieller Kunden bringt. Nicht nur dem Wirt der betroffenen Gaststätte ist damit geholfen. Denn sicherlich greift der eine oder andere der Angesprochenen in Zukunft auch im Getränkemarkt einmal eher zu den Bieren der freundlichen Brauerei aus Aying, statt sich für die Produkte der großen, internationalen Braukonzerne zu entscheiden. Und über die widerrechtlich eingeworfene Reklame sieht man in Anbetracht des Freibiers ohnehin ganz großzügig hinweg.
So einfach und preiswert können manchmal wirkungsvolle Marketingaktionen sein.
Markus Petsch Consiliarius
Auf alle Fälle habe ich jetzt Lust, mal dieses Bier zu probieren…
Udo Schewietzek
Da haben die Norddeutschen noch Nachholbedarf!
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Christa
Beim Durchlesen wurde ich daran erinnert, dass die Rede geht, in München “gehöre” das halbe Gebiet der Brauerei Paulaner. Die “Knebelverträge” sind wohl meist Folge einer http://de.wikipedia.org/wiki/Grunddienstbarkeit – Folge: Sogenannte “brauereigebundene” Gaststätten. Den Rest erledigen die Umstände bei brauereifreien Existenzgründungen ganz von alleine, ein Phänomen, das wir bei manchen Gaststätten mit quasi jährlichem Pächterwechsel gut beobachten konnten. Und: Soooo dolle schmeckt Ayinger wirklich nicht. Aber sie tun was für ihre Pächter, oder?
Jens Arne Männig
Das von dir eingangs erwähnte Ondit resultiert wohl vor allem daher, dass das Volk die verschiedenen Bereiche der Schörghuber Unternehmensgruppe nicht auseinander halten kann.