Literaturkritiker sind längst zu Fernsehstars geworden, Theaterkritiker werden hofiert und umworben, Kunst- und Architekturkritikern reißt man ihre Bücher aus den Händen, Musik- und Filmkritiker werden mit Freikarten für alle Events überhäuft und Gastronomiekritiker essen selbstverständlich außer Haus stets kostenlos. Der Kritiker ist zum bewunderten Helden unseres Kulturkreises geworden. Die Schlüsselpositionen aller etablierten Kritiksegmente sind jedoch – zum großen Bedauern des Nachwuchses – längst besetzt. Grund genug, ein neues Feld der Kritik zu erschließen und gleichzeitig dessen geistiges Primat einzufordern: Die Verkehrszeichenkritik.
Die Fantasie, die kreative Fähigkeit der Menschen also, scheint in letzter Zeit auch im Straßenverkehr einen immer größeren Raum einzunehmen. Das zeigt sich nicht nur in der Fahrweise zahlreicher Verkehrsteilnehmer oder in den immer mehr an Weihnachtsdekorationen gemahnenden Beleuchtungseinrichtungen von Personenwagen, sondern in zunehmendem Maße auch bei der Gestaltung und Verwendung von Verkehrszeichen. So beeindruckt beispielsweise ganz besonders dieses wunderbare Exemplar, das sich in einer Gemeinde im Speckgürtel einer süddeutschen Landeshauptstadt findet:
Was könnte hier wohl gemeint sein? Was ist verboten, was ist erlaubt? Beschäftigen wir uns also etwas näher mit den Bestandteilen dieses Verkehrszeichens. Genauer betrachtet handelt es sich eigentlich um die Kombination eines Vorschriftszeichens gemäß § 41 der Straßenverkehrsordnung (StVO) und eines Zusatzzeichens entsprechend § 39 Absatz 3 der gleichen Rechtsnorm. Beide Bestandteile sind auf einer gemeinsamen Trägertafel angebracht und und entsprechen damit den Vorgaben, die die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) wortreich ausführt:
VwV-StVO zu den §§ 39 bis 43, RN 7:
Mehrere Verkehrszeichen oder ein Verkehrszeichen mit wenigstens einem Zusatzzeichen dürfen gemeinsam auf einer weißen Trägertafel aufgebracht werden. Die Trägertafel hat einen schwarzen Rand und einen weißen Kontraststreifen. Zusatzzeichen werden jeweils von einem zusätzlichen schwarzen Rand gefasst.
Das oben angebrachte Vorschriftszeichen dürfte den meisten Verkehrsteilnehmern bekannt sein: Es handelt sich um der Zeichen 283 der StVO mit der Bezeichnung Absolutes Haltverbot. Hier darf also nicht gehalten werden.
VwV-StVO zu § 12 Halten und Parken, RN 1:
Halten ist eine gewollte Fahrtunterbrechung, die nicht durch die Verkehrslage oder eine Anordnung veranlasst ist.
Wer oder was genau hier nicht halten darf, das erläutert das Zusatzzeichen unter dem Haltverbotszeichen. Hier sind es, wie man leicht erkennen kann, das Haus Nr. 13 und/oder 2 KfZ. Da erfahrungsgemäß nur wenige Verkehrsteilnehmer mit einem Haus Nr. 13 unterwegs sind, wird dieser Teil der Anordnung vermutlich nur selten Sorgen bereiten. Problematischer stellt sich jedoch das Haltverbot für 2 KfZ dar. Dies beginnt schon damit, dass sich die Abkürzung KfZ dem Adressaten dieses Verkehrszeichens nicht sofort erschließt. Zwar kennt der Duden
Kfz, das; -, - = Kraftfahrzeug,
die Abkürzung mit kleinem f und großem Z scheint dagegen weitgehend unbekannt, sofern man auf die großen und bekannten Suchmaschinen vertrauen mag. Immerhin könnte damit auch Karlfranz Zitzelsberger oder Keine frischen Zitronen abgekürzt sein. Geht man jedoch davon aus, dass dennoch Kraftfahrzeuge1 gemeint sind, und dass sich hier lediglich der Klebebuchstabenfehlerteufel sein Recht verschafft hat, dann wird die Sache auch nicht eben einfacher: Dürfen hier zwei Kraftfahrzeuge nicht halten, dann steht jedoch gemäß dieser Beschilderung nichts dagegen, dass an diesem Platz ein Kraftfahrzeug hält oder parkt – oder drei oder vier.
Für Fahrzeuge wie Kutschen, Fahrräder oder Anhänger, die nicht mit Maschinenkraft bewegt werden, hat dieses Haltverbot damit ohnehin keine Gültigkeit. Allerdings ist es mit der Wirksamkeit des Haltverbots generell nicht allzu weit her, betrachtet man die Stelle, an der die Verkehrszeichenkombination angebracht ist, in Verbindung mit der Anlage 2 der Straßenverkehrsordnung. Letztere bestimmt unter der Randnummer 62 klar und deutlich zur Gültigkeit des Zeichens 283:
Das Halten auf der Fahrbahn ist verboten.
Aha, auf der Fahrbahn also. Diese Beschränkung der Gültigkeit eines Haltverbots hat auch das Bayerische Oberste Landesgericht im Jahr 1985 noch einmal konkretisiert:
BayObLG vom 30.12.1985, 2Ob OWi 414/85:
Halteverbote gelten nur für die Fahrbahn, und nicht auf Parkplätzen oder Seitenstreifen.
Die beschriebene Kombination von Verkehrs- und Zusatzzeichen findet man jedoch gute 15 Meter von der nächsten Fahrbahn entfernt, gerade an der Kopfseite einer aufgepflasterten Parkfläche. Dort kann das Zeichen 283 also überhaupt keine Wirkung entfalten. Ebenfalls liegt die Annahme nahe, dass das kleine Schild am Baumstamm dies auch nicht auf der nächstliegenden Fahrbahn tut, von der aus es die Verkehrsteilnehmer ohnehin kaum wahrnehmen werden.
Fassen wir also zusammen: Der Bewohner des Hauses Nr. 13, der mit diesem fantasiereichen Konstrukt seine beiden Privatparkplätze freihalten möchte, hat sich hier offensichtlich selbst einen Bärendienst erwiesen: Das hier verhängte Absolute Haltverbot wird in dieser Konstellation keine Gültigkeit erlangen. Da dieses Beschilderung nicht einmal eindeutig klar macht, dass die so beschilderten Parkplätze nicht dem öffentlichen Verkehrsraum zugeordnet werden sollen, kann hier jeder parken.
Damit hat jedoch der Besitzer dieser Parkplätze noch Glück gehabt: Würde das Haltverbot nämlich tatsächlich eine verbindliche Wirkung entfalten, dann dürfte selbstverständlich auch der Mieter oder Eigentümer der Parkplätze sein Fahrzeug dort nicht abstellen. Ein einfaches Schild mit der Aufschrift Privatparkplatz wäre vermutlich die bessere Lösung gewesen.
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Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr in § 2 Nr. 1:
Kraftfahrzeuge: nicht dauerhaft spurgeführte Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden ↩
alex
Episch.
Witzbold
Dort darf nicht jeder Parken. Die Fläche ist dem Gehweg zuzurechen, weshalb hier niemand parken darf, unabhängig ob er “Haus Nr. 13” ist oder nicht.
nömix
Wie schön, dass Sie hier der zu Unrecht vernachlässigten essayistischen Sparte der »kleinen Verkehrszeichenkritik« den gebührenden Rahmen bieten. (ein dem Ihren ähnliches Beispiel für kreativen Nonsens im Schilderwald habe ich hieramts* ebenfalls der Kritik unterzogen ; )