Wann hatten Sie zum letzten Mal ein Telefonbuch in der Hand? So ein richtiges, gedrucktes, aus Papier? Eben. Deshalb wundert es mich auch immer wieder, wenn ich von Unternehmern das höre, was mich gerade vorgestern wieder ein Geschäftspartner wissen ließ: »Leider haben wir jetzt kaum mehr Luft in unserem Werbebudget. Die Anzeigen im Telefonbuch und in den Gelben Seiten haben halt leider schon einen großen Teil geschluckt.«
Es ist schon erstaunlich, einen wie unverrückbaren Platz diese archaische Form der Reklame immer noch in den Köpfen vieler Menschen einnimmt. Die Reichweitenangaben, die die Telefonbuchverlage verbreiten, scheinen ein unangreifbares Tabu zu sein. Und aufs eigene Nutzerverhalten angesprochen, geben zwar selbst die Verfechter der Werbung in Telefonbüchern zu, diese selbst nicht mehr zu nutzen, halten sich aber gleichzeitig für Exoten, weil sie sich heute eher des Internets und der einschlägigen Suchmaschinen bedienen.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob die kaufkräftige Zielgruppe der intensiven Telefonbuchnutzer heute überhaupt noch existiert, oder ob es nicht vielmehr eine ältere Randgruppe ist, die sich des gedruckten Telefonbuchs und wahrscheinlich auch des Fernsprechers mit Wählscheibe bedient. Einige Marktforschungen und Umfragen, sowohl im Consumer- als auch im Business-to-Business-Segment, die ich seit 2001 begleitet habe, haben immer wieder gezeigt, dass bei Händlern und Dinstleistungsunternehmen die Zahl der Leads, die aus Telefonbucheinträgen und -werbung generiert wurden, ständig geschrumpft ist.
Inzwischen ist, soweit ich dies beobachten kann, nur noch in weit unter der Hälfte der Haushalte überhaupt noch ein Telefonbuch vorhanden, zumindest kein aktuelles. Und am Arbeitsplatz spielt es eine noch geringere Rolle, ein Opfer der Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit des Internets. Die Distributionsbemühungen der Telefonbuchverlage über Tankstellenketten und Elektromärkte endeten auch vielfach damit, dass die Telefonbücher palettenweise direkt in Altpapiercontainer umgeladen wurden.
Hier im Münchner Umland ist man deshalb inzwischen dazu übergegangen, die Telefonbücher direkt an die Haustür zu liefern, um die Auflage von 855.000 des Telefonbuchs Nummer 99 für München noch irgendwie unter die Leute zu bringen. Das Interesse scheint dennoch gering. Im März wurden hier also vor jeder Haustür die Zahl von Telefonbüchern und Gelben Seiten abgelegt, die der Zahl der Parteien im Haus entsprach. Inzwischen haben wir bald Mitte Mai, und die Situation stellt sich mittlerweile so dar (Bitte für die ganze Pracht aufs Bild klicken):
In diesem Haus hat sich also schlicht kein einziger Mieter für ein Telefonbuch interessiert. Und in der Nachbarschaft ist es nur wenig anders: Maximal haben sich jeweils zwei oder drei von acht Parteien ein Telefonbuch-Paket mit nachhause genommen. Und in den nächsten Tagen wird sich hoffentlich der Hausmeister mal erbarmen und das frisch gedruckte Altpapier zum Container schleppen. Wenn es nur nicht so mühsam wäre, zum Behufe der sortenreinen Trennung die Plastikfolien zuvor zu entfernen …
Wenn also der Verkäufer des örtlichen Telefonbuchverlags das nächste Mal bei Ihnen klingelt, dann überlegen Sie doch mal, was Ihnen die Telefonbuchwerbung in den letzten Jahren wirklich gebracht hat. Und vielleicht findet sich ja sogar eine Möglichkeit, wie Sie Ihr Werbebudget zielgruppengerechter und wirksamer unterkriegen!
anon
Hallo Jens,
als kleines Licht (mit kleinem Salär) verdiene ich meine Brötchen als Angestellter in der Telefonbuchbranche. Im großen und ganzen bin auch ich der Meinung, dass ich das die Hochzeit der Telefonbücher gelaufen ist. Das wird warscheinlich irgendwann so laufen wie mit den analogen Kameras, die mehr oder weniger “von heut auf morgen” verschwanden.
Interessant ist Deine Aussage: “Einige Marktforschungen und Umfragen, sowohl im Consumer- als auch im Business-to-Business-Segment, die ich seit 2001 begleitet habe, haben immer wieder gezeigt, dass bei Händlern und Dinstleistungsunternehmen die Zahl der Leads, die aus Telefonbucheinträgen und -werbung generiert wurden, ständig geschrumpft ist.”
Hast Du hierfür Belege, Zahlen?
Tatsächlich haben auch noch weit mehr als die Hälfte aller Haushalte ein Telefonbuch Zuhause. Du darfst nicht den Fehler machen, von Deinem persönlichen Umfeld auf ALLE zu schließen. Solange viele zuerst noch ihren Rechner hochfahren müssen, um ins Internet zu kommen, werden die vorher zum Telefonbuch greifen, um mal schnell ne Nummer rauszuziehen. (So mach ich das privat immer noch.)
“Die Distributionsbemühungen der Telefonbuchverlage über Tankstellenketten und Elektromärkte” sind der Tatsache geschuldet, dass die Ausgabe über die Post nicht mehr Flächendeckend zu machen ist, da zwischenzeitlich viele Postämter geschlossen sind.
“endeten auch vielfach damit, dass die Telefonbücher palettenweise direkt in Altpapiercontainer umgeladen wurden.” Belege? Ich weiß von vielen Ausgabestellen, bei denen die Bücher noch VOR offiziellem Ausgabebeginn vergriffen waren.
Noch einen Vorteil haben die Bücher. Nenn mir bitte ein Verzeichnis im Internet (Abgesehen die der Telefonbuchverlage), das so vollständig ist, wie die Bücher. Mach dir mal den Spaß und such mal alle Friseure bei Dir in Feldkirchen. Auf Google z.B. ist da sicherlich ne Menge “Schrott” zu finden.
Gruss
Anon
Jens Arne Männig
@anon: Ja für meine Aussagen habe ich Belege und Zahlen. Es obliegt allerdings meinen Kunden, diese zu veröffentlichen. Der Wert des Telefonbuchs, das entsprechend deiner Aussage noch 50 % der Fernsprechteilnehmer zuhause haben sollen, erstreckt sich natürlich stets nur auf dessen Geltungsbereich. Das Umpacken der Telefonbücher von der Palette in den Container konnte ich in den vergangenen beiden Jahren jeweils selbst beobachten, vor einem Media-Markt wie auf dem Gelände einer Jet-Tankstelle in München. Zu deinem Suchspiel: Ich wüsste nicht, wozu ich als Privatperson die Telefonnummern aller Friseure in München brauchen sollte. Und brauche ich deren Daten zu Geschäftszwecken, dann werde ich sie in aller Regel mieten oder kaufen.
anon
Natürlich braucht kein Mensch die Daten aller Friseure die in München sind. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass Du “Deinen” Friseur findest, wenn Du Ihn kontaktieren willst, ist höher, wenn alle verzeichnet sind. Ich wüsst ja auch nicht wozu ein Privatmensch all die Milliarden Seiten benötigt, die Google indiziert.
Wir müssen uns jetzt auch nicht gegenseitig mit Argumenten zuwerfen. Im Großen und Ganzen sind wir ja einer Meinung, nur ganz so Schlimm ist es eben noch nicht und die Bücher haben durchaus noch Ihre Berechtigung (Frag doch mal Tante Liesbeth). Die Wahrheit liegt -wie sooft- irgendwo in der Mitte.
Beste Grüße nach München
Anon
Patrick
Für das “Örtliche” sehe ich eine Daseinsberechtigung, denn dort findet man Handel & Dienstleistung schneller und effektiver als im Internet. Die anderen “dicken Schwarten” sind out.
Schon mit Aufkommen der Klicktel CDs hat die Verdrängung der Telefonbücher begonnen.
Adriano Pierobon
Als bundesweit tätiger Pflegedienst http//:www.humanis-pflege.de haben wir in der Vergangenheit viel (Lehr-)Geld bezahlt für Telefonbucheinträge. Um sich als Pflegedienst von Mitstreitern abzuheben, muss man aufwendig gestaltete Anzeigen mit hohen Kosten schalten. Nutzen unserer Ansicht nach-gering. Deshalb machen wir nur noch Grundeinträge und entlasten unser Werbebudget….