Männig

Familiengeschichten – Luftfahrtgeschichten

Vor fast genau 100 Jahren, am 18. Juni 1912, unternimmt der 49-jährige August Tasche einen Ausflug nach Frankfurt am Main. Schon früh ist der Privatier und Major außer Dienst zuhause in Ems, das nur ein Jahr später mit dem Namenszusatz Bad geadelt werden soll, losgefahren. Mit von der Partie sind seine junge Frau Ilse und Tochter Dora, die wenige Tage zuvor drei Jahre alt geworden ist. Ziel der Reise: Der gerade neu eröffnete Frankfurter Flughafen.

Freilich ist zu dieser Zeit noch nicht vom späteren Rhein-Main-Flughafen südlich von Frankfurt die Rede, der ja erst im Jahr 1936 eröffnet werden wird. Beim Vorgänger, den August Tasche mit seiner Familie an diesem Tag besuchen will, handelt es sich um den Luftschiffhafen am Rebstock, der erst wenige Wochen zuvor von der DELAG, der Deutschen Luftschiffahrts-Aktiengesellschaft, in Betrieb genommen worden ist. Die DELAG wiederum ist damals die erste Fluggesellschaft der Welt, gegründet im November 1909.

Bereits 1910 sollte der Liniendienst mit Zeppelin-Starrluftschiffen von Frankfurt-Rebstock aus aufgenommen werden. Doch die Wetterempfindlichkeit der Zeppeline machte einen Stich durch die Rechnung der jungen Airline DELAG. Das Luftschiff LZ 7, zunächst für den Einsatz von und nach Frankfurt vorgesehen, stürzte im Sommer 1910 im Teutoburger Wald nahe Bad Iburg ab. Ein Motorschaden und eine Unwetterfront hatten zu dem Unglück geführt, das jedoch glücklicherweise keine Menschenleben forderte. Flugs wurde unter Verwendung der noch brauchbaren Teile des Luftschiffs der Nachfolger LZ 8 aufgebaut, der jedoch 1911 nach nur 24 Fahrten ebenfalls durch eine Windböe zerstört wurde.

Nur wenige Monate später, im Juni 1911, wurde jedoch schon ein neues Zeppelin-Modell in Dienst gestellt: Das Luftschiff LZ 10, getauft auf den Namen Schwaben. Dies ist der Zeppelin, der am 18. Juni 1912 im Hangar des Flugplatzes am Frankfurter Rebstock liegt, die technische Sensation, wegen der sich August und Ilse Tasche mit ihrer kleine Tochter auf den Weg gemacht haben. Das 140 Meter lange Luftschiff fasst 17.800 Kubikmeter Wasserstoffgas, die für ausreichend Auftrieb für über 13 Tonnen Eigengewicht und sechseinhalb Tonnen Nutzlast sorgen.

Die drei Maybach-Maschinen leisten zusammen 320 Kilowatt und beschleunigen den Zeppelin bis auf nie da gewesene 75 Kilometer in der Stunde. Die holzgetäfelte Passagiergondel ist mit allem erdenklichen Komfort für bis zu 20 Fahrgäste ausgestattet, die Verpflegung mit Kaviar und Champagner auf den Rundfahrten und Reisen zwischen den Luftschiffhäfen Potsdam, Düsseldorf, Frankfurt und Oos bei Baden-Baden sind legendär. Das Luftschiff LZ 10 Schwaben gilt als erstes, kommerziell erfolgreiches Luftfahrzeug zum Passagiertransport.

Eine Fahrt mit diesem Wunderwerk der Technik wagt der Major a. D. nebst Familie zwar nicht, jedoch wird der Ausflug zum Flugplatz in Frankfurt ausführlich in Bildern dokumentiert. Kein Wunder, ist doch Gattin Ilse ein Spross der Chemnitzer Fotografenfamilie Hahn. Und so finden sie sich noch heute im Familienalbum, die Bilder des denkwürdigen Ausflugs im Juni 1912, die hier zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich werden.


Genau zehn Tage, nachdem diese Bilder entstanden sind, ist jedoch auch die Geschichte des Luftschiffs Schwaben schon wieder an ihrem Ende angelangt. Als der Zeppelin LZ 10 nach über 200 Passagierfahrten in Düsseldorf an einem Außenmast vertäut ist, wird es von einer Gewitterböe erfasst und zerbricht. Dabei entsteht Funkenflug, der das Wasserstoffgas in der Hülle in Brand setzt. In wenigen Augenblicken brennt das gesamte Luftschiff lichterloh. Die Gondeln, Maschinen und einige Rahmenteile, die vom Feuer zunächst nicht erfasst wurden, werden beim Aufprall auf den Boden weitgehend zerstört. Passagiere oder Besatzung sind zu diesem Zeitpunkt nicht an Bord, jedoch werden etwa 35 Soldaten verletzt, die das Luftschiff sichern sollten.
 

August und Ilse Tasche waren meine Urgroßeltern, die kleine Dora meine Großmutter.