Bewundernswert ist es schon, wie der Frankfurter Campus Verlag es schafft, seine jüngst erschienene Publikation Digital ist besser landauf, landab in fast allen der zahlreichen deutschen Medienblogs zu positionieren. Was bei diesem Titel doch verwundert, ist weniger das mutige Recycling eines Titels des Debutalbums der Hamburger Band Tocotronic aus dem Jahr 1995. Erstaunlich ist es vielmehr, dass die Promotionartikel für das Werk durchgängig ausgerechnet mit einem Buch garniert sind, auf dem der so programmatische Titel Digital ist besser prangt. Bücher, die älteren Leser erinnern sich vielleicht noch, das waren Informationsträger aus zusammengehefteten, bedruckten Blättern, die ihrerseits aus Lumpen und Holz hergestellt wurden. Aber tatsächlich, so etwas gibt es noch, und heute sogar versehen mit einer richtungsweisenden Aufschrift wie Digital ist besser.
Erwerben kann man das Printprodukt für 22 Euro beim örtlichen Buchhändler, beim Buchversandhandel oder direkt beim Verlag. Der Weg zum Leser ist dann fast der gleiche: Bäume werden gefällt, transportiert, in Fabriken zu Papier verarbeitet und in Druckereien geliefert. Gleichzeitig wird in Chemiewerken Druckfarbe, meist aus Erdöl, das aus fernen Ländern bezogen wird, hergestellt. Das Papier wird mit großen Maschinen bedruckt und weiter in Buchbindereien befördert, wo die Bücher zusammengestellt werden. Danach noch eine schicke Plastikhülle drum und weiter gehts ins Logistikzentrum. Von dort aus führt der Weg zum Grossisten und von diesem aus schließlich zum Buchhändler. Großversender werden direkt von der Logistikzentrale beliefert und verschicken dann per Post oder Paketdienst zum Endkunden.
Für diesen gewaltigen Produktions- und Logistikaufwand mit Tausenden von Autobahnkilometern im Lkw erscheint der Preis von 22 Euro geradezu wie geschenkt. Nun hadert der gewillte Leser jedoch etwas damit, dass es vielleicht doch etwas anachronistisch sei, eine Abhandlung mit dem 16 Jahre nach Tocotronic zweifellos immer noch visionären Titel Digital ist besser ausgerechnet auf Totholz zu ordern. Nach einigem Suchen findet er schließlich auch auf den Seiten des Campus-Verlags einen unscheinbaren, kleinen Button mit der Aufschrift E-Book kaufen. Prima, das ist es doch: Ein Klick und die Lektüre kommt direkt auf den eigenen Rechner. Ohne qualmende Fabriken, ohne umweltverschmutzende Abwässer und ohne Lastwagenkolonnen, die die Autobahnen verstopfen.
Ein Klick also und … eine Errormeldung erscheint. Die weicht aber schließlich dann doch noch einer Bestellseite, auf der man nach einigem Herumschauen dann auch wieder die Umschlagansicht des gewünschten Werks findet. Daneben der Preis des E-Books: 18,70 Euro. Wie bitte? Sollte die beschriebene Produktions- und Logistikkette vom Wald oder Erdölfeld bis zum Leser wirklich nur einen Kostenanteil von 3,30 Euro verursachen? Mit einigem Murren nimmt der potenzielle Kunde in Kauf, dass er als early adopter hier wohl irgendetwas quersubventionieren muss und er klickt sich schließlich wieder weiter zur nunmehr wirklichen Bestellseite.
Die Bestelloption Download PDF ist bereits vorgewählt, aber der Kaufwillige wähnt sich schlau: PDF, das ist doch ein proprietäres Format der amerikanischen Adobe Inc., das dem Leser ein Printprodukt auf dem PC vorgaukeln will. Mit allen Haken und Ösen, mit Paginierung und schicken buchseitenorientierten Layouts, sprich: Auf dem Bildschirm alles andere als komfortabel lesbar. Aber glücklicherweise steht mit ePUB auch noch eine weitere Downloadoption zur Verfügung. ePub, das ist ein offener Standard für elektronische Publikationen, der dem Nutzer die Auswahl überlässt, welches System und welche Software er zum Lesen nutzen will. Na also, geht doch!
Wäre da nicht hinter dem ePUB-Logo noch hellgrau und unscheinbar das Wörtchen Hinweis! zu entdecken. Ein Klick darauf bringt ein Popup-Fenster zutage, in dem zu lesen ist:
Dieses Werk ist mit einem Adobe DRM geschützt. Um dieses E-Book lesen zu können, benötigen Sie das kostenlose Programm Adobe Digital Editions. Bitte laden Sie sich diese Software auf Ihren PC oder Mac, bevor Sie auf den Downloadlink des E-Book klicken.
Weitere Informationen finden Sie auch in unseren FAQs.
Tja, leider lässt das an sich offene ePUB-Format nämlich auch das Digital Rights Management zu, definiert dafür allerdings keine Standards. Und in diesem Fall hat nun eben jemand definiert, dass das angebotene E-Book im eigentlich offenen Standard nur auf einer bestimmten Software funktioniert. Diese Software muss sich der geneigte Leser herunterladen und auf seinem Computer installieren. Vorausgesetzt natürlich, der Rechner läuft unter einem der beiden Betriebssysteme, die der Campus Verlag und Adobe vorgeben. Außen vor bleiben beispielsweise die zahllosen Verwender von Linux-Systemen, Apples iOS oder von Android.
Und spätestens hier gibt er auf, der willige Leser, so dass es ihm wohl auf immer verborgen bleiben wird, warum denn die Autoren Kai-Hinrich und Tim Renner glauben, dass digital besser sei. Unter den Rahmenbedingungen, die der Campus Verlag bereitstellt, ist digital ganz sicher nicht besser. Aber vielleicht ist es ja genau das, was man bei Campus mit dieser wundersamen Publikation vielleicht etwas subversiv aber dennoch exemplarisch beweisen will.
Gachmuret
Ganz unabhängig von den völlig zu Recht angemerkten Problemen beim eBook, möchte ich nur kurz die gestellte Frage beantworten (“Sollte die beschriebene Produktions- und Logistikkette vom Wald oder Erdölfeld bis zum Leser wirklich nur einen Kostenanteil von 3,30 Euro verursachen?”):
Ja.
Herstellung und Logistik sind tatsächlich eher nachrangige Kostenfaktoren.
Bertram Kleff
Danke für diesen erheiternden Artikel!
Ich frage mich auch, in welch’ schwindelerregende Höhen die
eBookpreise plötzlich entschwinden, seit der Buchhandel den ersten eReader auf der Buchmesse vorstellte…Vielleicht sollten die Banken einmal darüber nachdenken, ein Zertifikat zu dem Thema aufzusetzen…
Ich konnte mal ein eBook nur auf dem Reader lesen, wenn ich es für eine vorher zu definierende Anzahl von Tagen von meinem PC an meinen Reader ‘ausgeliehen’ habe – Operation eBook abgebrochen, eBook gelöscht…
Thomas
Wenn das Printprodukt im Handel EUR22,- kostet, dann gehen davon ca. EUR10,- an den Grossisten. Der Verlag erhält EUR 12,- bezahlt damit den Autor, Satz und Layout, Marketing und natürlich die Herstellung des Buches. Man kann sich leicht ausrechnen, dass die Kosten für Herstellung und Logistik tatsächlich den kleinsten Teil des VK ausmachen.
Carullus
Logistik ist ganz sicher kein vernachlässigbarer Faktor: Der Druck, die Auslieferung/Rücknahmen/Vorrätighalten, die Zwischenhändler mit ihren Kosten (Personal, Platz, Gewinnmarge) usw: das alles fällt weg. Was bleibt sind die Kosten für den Autor und das Lektorat, anteilig natürlich auch Marketing, Werbung, Produktpflege udgl., aber die Kosten müssten viel niedriger sein als sie es sind. Sind sie aber nicht. Warum? Weil man glaubt, dass der Markt das schon hergibt. (Und natürlich hat man panische Angst davor den lukrativen Hardcover-Markt zu “kannibalisieren”.)
Michael
@Thomas: 10€ für den “Grossist” beim eBook-Download direkt vom Verlag? Wohl eher nicht. Das belegt eher, dass das eBook mit 18,70€ überteuert ist. Bei der Einzelbestellung des Totbaum-Produkts direkt beim Verlag ist das zähneknirschend nachvollziehbar: Man finanziert aufgrund Preisbindung den großen pauschalen Kostenfaktor “Grossist” mit. Dieser Kostenfaktor muss beim eBook jedoch durch einen geringeren Kostenanteil für den Parallelvertrieb über digitale Vertriebsplattformen von Drittanbietern ersetzt werden. Da liegt man dann deutlich unter den von Dir angesetzten knapp 50% für den Grossist beim Totbaum-Produkt.
Flo
Das Problem ist vielleicht auch, dass so langsam, mit dem Internet, der traditionelle Weg, Bücher zu verkaufen, nämlich über einen Verlag, Buchhändler, etc. nicht mehr der einzige ist, auf lange Sicht vielleicht sogar einer, den es nicht mehr geben wird. Früher konnte ein Autor es kaum schaffen, seine Leser alleine zu erreichen, aber heute? Jeder Autor kann ein E-Book selbst verlegen und, wenn er gut ist, auch mit sehr geringen Preisen (z.B. 0,99$ bis 2,99$) ein gutes Geschäft machen (und wenn er schlecht ist, hilft ihm auch ein hoher Preis nix). Mit E-Books kann jeder Autor problemlos die Leute, die daran mitverdienen, reduzieren und so seinen Gewinn steigern bei gleichzeitigem Senken der Kosten – sogar mehr noch als ein Verlag. Denn die einzigen Kosten, die der Autor sonst hat, sind das Cover, Layout und Lektorat und das kostet heute auch nicht mehr die Welt.
Natürlich, kurz- und mittelfristig wird es weiterhin mehr traditionelle Bücher geben und solange das der Fall ist, wird es auch Verlage geben, aber langfristig? Ich denke mal, langfristig werden Bücher eher zu einem ähnlich seltenen Artikel werden wie Pferdekutschen.