Männig

Lieblingssachen: Leitner_6

Irgendwann im Leben eines Mannes kommt der Moment, in dem er sich in Wohnung und Büro nicht mehr in erster Linie mit Ikeamöbeln umgeben möchte. Für mich war dieser Zeitpunkt am 3. März 1993 gekommen. An diesem Tag, also vor fast genau 20 Jahren, schickte ich nämlich eine Bestellung an die Leitner GmbH – per Fax, wie es zu jener Zeit üblich war. Als jemand, der sich bis dahin schon einige Jahre in der Messe- und Ausstellungsbranche seine Brötchen verdient hatte, war mir der Name Burkhardt Leitner natürlich nicht unbekannt. Die geradlinigen, klaren und systematisch strukturierten Entwürfe des Gestalters aus dem Schwäbischen hatten mich immer wieder tief beeindruckt. Und auf der Suche nach einem Regalsystem, das für alle Lebenslagen gerüstet sein und mich den Rest meines Lebens begleiten könnte, war ich auf das Leitner_6 gestoßen.

Ein System von verblüffender Einfachheit: Basierend auf einem würfelförmigen Raster, besteht es lediglich aus verschweißten, pulverbeschichteten Drahtelementen und kronenförmigen Kunststoffknoten. Für die Montage ist keinerlei Werkzeug nötig, noch weniger sind Schrauben oder andere komplexe Beschlag-Elemente erforderlich. Das Regal wird nämlich einfach zusammengesteckt. Je größer das individuell aufgebaute Konstrukt ist, desto stabiler wird es auch, wofür nicht zuletzt Drahtrahmen mit Diagonalversteifungen sorgen. Und noch einmal robuster wird das Leitner_6-Regal, wenn es befüllt wird. Das Gewicht des gelagerten Gutes sorgt dafür, dass es so bombenfest und absolut sicher steht, wie man es ob seiner leichten und grazilen Erscheinung gar nicht erwarten mag.

Neben den Grundelementen – Knoten, Rahmen ohne Diagonale und Rahmen mit Diagonale – standen fünf verschiedene horizontale Elemente zur Verfügung: Die Ablagen, also das, was man bei anderen Lagersystemen als Regalbretter bezeichnen würde, waren in geschlossenem Blech, Lochblech, Glas, farbigem Kunststoff oder als Gitterelement zu haben. Daneben verzeichnete der Produktkatalog aber noch eine große Reihe weiterer Zubehörelemente, die das System ergänzten. Hierzu gehörten zum Beispiel Schallplattenhalter, Ablagen für Hängeregister, Körbe, Handtuchhalter oder Deckenelemente als oberer Abschluss mit und ohne integrierte Lichtelemente. Alle Stahl- beziehungsweise Drahtteile waren dabei mit schwarzer, weißer oder roter Pulverbeschichtung, aber auch mit verchromter Oberfläche verfügbar.

Was die Farbgestaltung betrifft, habe ich mich seinerzeit für ein fröhliches und zeitloses Schwarz aller Metall- und Kunststoffteile entschieden. Nachdem ich anfangs zu Glasböden tendiert hatte, siegte letztlich doch der Pragmatismus: Ich wählte die Ablageböden aus Drahtgitter, aus dem einfachen Beweggrund heraus, dass sich auf einem Drahtgitter kein oder zumindest fast kein Staub abzulagern vermag – eine Entscheidung, die ich nach 20 Jahren des Einsatzes meines Leitner_6 als Bücher- und Lagerregal, als transparenten Raumteiler und als Nicht-Kleiderschrank bis heute nicht bereut habe. Bei jedem Umzug der letzten beiden Jahrzehnte erhielten alle Elemente nach dem Abbauen ein Bad in der Badewanne, wurden danach getrocknet und in der neuen Behausung in neuer Form wieder zusammengesteckt. Denn wer Lego kann, der kann auch Leitner_6.

Doch zurück ins Jahr 1993. Leider hatte die Spedition, die mir mein Regalsystem liefern sollte, kein allzu glückliches Händchen. Nach einigem Warten und zahlreichen Telefonaten erhielt ich schließlich fast sieben Wochen nach meiner Bestellung einige völlig durchnässte Kartons. Die solide verarbeiteten Regalelemente hatten den lieblosen Transport jedoch erstaunlicherweise gut überstanden. Einen kurzen Hinweis auf das Versagen der Spedition gegenüber der Leitner GmbH konnte ich mir nicht verkneifen – und schon wenige Stunden später erreichte mich ein Anruf der Geschäftsführerin, die sich für die Fehlleistung des beauftragten Transportunternehmens entschuldigte und mich bat, ein kleines Geschenk zur Wiedergutmachung anzunehmen. Dieses erreichte mich wenige Tage später, ausgerechnet in Form einer schicken Obstschale, die ich im Katalog zwar ausführlich bestaunt, mir aber nie geleistet hätte. Gelungener Kundenservice, an den ich mich noch heute gern erinnere.

Im Leitner_6-Katalog aus dem Jahr 1992, der ebenso sorgfältig durchdacht und klar gestaltet ist, wie das geschätzte Regalsystem selbst, heißt es:

Vor circa 20 Jahren wurde das Leitner_6 System entwickelt und produziert. Ob man da schon von »zeitlosem Design« sprechen darf, wissen wir nicht – aber wir haben vor, es die nächsten und übernächsten zwanzig Jahre für Sie arbeiten zu lassen. Vergrößern Sie Ihr Büro, wächst Leitner_6 einfach mit.

Leider waren dieser Produktfamilie, die man vom heutigen Standpunkt tatsächlich als zeitlos bezeichnen könnte, keine nächsten und übernächsten zwanzig Jahre mehr beschieden. Nach Burkhardt Leitners Ausstieg aus der Leitner GmbH wurde es noch über einige Jahre hinweg weiter produziert. Infolge der Insolvenz des Unternehmens im Jahre 2008 wurden jedoch die Immaterialgüterrechte der Leitner GmbH vom schweizerischen Vertriebspartner SH Messebau AG übernommen, der sich entschloss, das leichte, elegante und zweckmäßige Regalsystem Leitner_6 nicht mehr weiter zu produzieren. Aber wer weiß – vielleicht besinnt man sich eines Tages doch wieder eines Besseren. Einen Markt fände das schlanke und stabile System aus Draht und Kunststoff nämlich sicherlich auch heute noch.

Die entsprechend gekennzeichneten Bilder sind mit freundlicher Genehmigung der SH Messebau AG einem Prospekt der heute nicht mehr existenten Leitner GmbH, Waiblingen aus dem Jahr 1992 entnommen. Ob an den Aufnahmen eventuell noch Urheberrechte oder Urhebernebenrechte, beispielsweise eines Fotografen, bestehen, konnte ich leider nicht abschließend klären. Sollten Sie Urheber der Fotos sein und der unkommerziellen Veröffentlichung im Rahmen diese Artikels widersprechen wollen, dann bitte ich Sie um einen entsprechenden Hinweis. Ich werde die entsprechenden Bilder dann umgehend löschen.