Männig

Nicht nur das Öl

Zahlreich waren die Vorwürfe, Politiker und Diplomaten aus Deutschland und anderen mitteleuropäischen Ländern hätten sich in den vergangenen Wochen zu lange dezent zurückgehalten, als es um die Unterstützung der Reformbewegungen in nordafrikanischen Staaten ging. Der Verdacht, hier würde aufgrund wirtschaftlicher Interessen die Beibehaltung des Status quo bevorzugt, lag nahe: Schließlich kommt ein nicht unerheblicher Teil der Öl- und Gaslieferungen Westeuropas aus den Staaten Nordafrikas. Doch bei genauerer Betrachtung fallen noch weitere Gründe ins Auge.

Einer dieser Gründe findet sich in einem modernen Gebäude mit Glasfassade, das unweit des Münchner Englischen Gartens steht. In diesem noblen Bürohaus, das sich im Besitz der Munich Re befindet, residiert die Dii GmbH. Die Liste der Gesellschafter des erst vor eineinhalb Jahren gegründeten Unternehmens liest sich wie ein Who’s Who der deutschen und europäischen Wirtschaft. Fünf der 19 Inhabergesellschaften sind DAX-30-Konzerne, die allein über einen Börsenwert von über 160 Milliarden Euro verfügen. Daneben werden noch 35, kaum weniger renommierte Unternehmen als Partner gelistet.

Das Ziel der illustren Dii GmbH ist die Realisierung eines energiewirtschaftlichen Konzepts, das unter dem Namen DESERTEC erst einer recht überschaubaren Öffentlichkeit wirklich bekannt geworden ist. Und dieses Konzept sieht nicht weniger vor, als Mitteleuropa bis zum Jahr 2050 zu mindestens 15 % mit Elektrizität aus Nordafrika zu versorgen. Denn eines ist den beteiligten Stromkonzernen wie E.ON und RWE aus Deutschland sowie Enel und Terna aus Italien längst klar: Die derzeitigen Versorgungsstrukturen, die auf thermischen Kohle- und Atomkraftwerken basieren, werden nicht mehr lange zu halten sein.

Deshalb haben sich die Stromversorger in der Dii mit erfahrenen Anlagenbauern wie ABB und Siemens, aber auch mit zahlreichen Solartechnik-Unternehmen, führenden Großbanken und Dienstleistern bis hin zum Prüfkonzern TÜV zusammengetan. Grüne Energie soll es diesmal sein, Energie, die von der Sonne kommt, die niemals versiegt und die vor allem weit geringere Folge- und Entsorgungskosten haben soll als Kohle und Atomkraft. Natürlich liegt nichts weniger im Interesse der Konzerne, als die Elektrizität für Mittel- und Südeuropa regional und dezentral dort zu erzeugen, wo sie benötigt wird. Profitabel für die Anbieter sind nämlich nur Großanlagen und zentralisierte Infrastrukturen, die die bestehenden Oligopole der Stromversorgung erhalten und festigen.

Für derart große solarthermische Kraftwerke ist freilich im dicht besiedelten Europa weder der Platz vorhanden, noch sind die Sonnenscheinzeiten für den wirtschaftlichen Betrieb ausreichend. Daher sehen die DESERTEC-Pläne vor, diese Kraftwerke in Nordafrika zu errichten. Nach Europa soll der erzeugte Strom über Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen von bisher nicht gekannten Dimensionen gelangen. Die Übertragungsverluste sollen mit zehn bis fünfzehn Prozent sehr niedrig sein, der Platzbedarf für die Kraftwerke gemäß ersten Studien relativ gering.

Eines ist jedoch bei einer geschätzten Investitionssumme von etwa 400 Milliarden Euro unerlässlich: Die politische Stabilität in den Regionen, in denen die Investitionen zum überwiegenden Teil getätigt werden sollen. Politische Stabilität, die die Interessen von Wirtschaftskonzernen langfristig sichert, ist jedoch von jungen, sich noch in ungewisse Richtung entwickelnden Demokratien, womöglich noch islamischer Prägung, kaum zu gewährleisten. Lieber wäre es da der europäischen Wirtschaftselite, sich weiterhin auf die straffen Regimes verlassen zu können, die in den letzten Jahrzehnten Länder wie Ägypten, Libyen, Tunesien, Algerien und Marokko beherrscht haben.

Der Aufwand, bei einer Unzahl von Gruppierungen und politischen Strömungen antichambrieren zu müssen, ist nun einmal ungleich höher, als die erforderlichen Absprachen mit einer Handvoll Despoten zu treffen. Dies ist auch den europäischen Politikern und Diplomaten klar, die die Interessen ihrer Wirtschaftsführer nach außen vertreten. So verwundert es nur wenig, dass sich unsere Staatsmänner in den vergangenen Wochen so trefflich in Schweigen gehüllt und die Demokratiebewegungen in den Nationen Nordafrikas nur sehr verhalten begrüßt haben. Bequemer für die Durchsetzung unserer ökonomischen Interessen wären die jetzt im Zerbrechen befindlichen Diktaturen nämlich allemal gewesen.

Und so bleibt eigentlich nur die Hoffnung, dass die sich derzeit verschärfende Bürgerkriegssituation in Libyen ein UN-Mandat nach sich ziehen könnte. Allein eine langfristige Besetzung der nordafrikanischen Region nach dem Afghanistan-Modell scheint im Moment dazu angetan, unseren Bedarf an grüner, ökologischer und sozialverträglicher Energie langfristig zu decken – und die Gewinne führender europäischer Unternehmen auf viele Jahre hinaus sprudeln zu lassen.