Selten kommt die große, weite Welt in die freundlich-verschlafene Region des mittleren und unteren Taubertals. Aber wenn sie dann doch mal vor der Tür steht, dann meist aufgrund nationaler Interessen. So zum Beispiel vor fast genau 150 Jahren, als im beschaulichen Tauberfranken plötzlich um die Vorherrschaft in Mitteleuropa gekämpft wird. Nur wenige Menschen nehmen aber heute noch die Gräber und Denkmäler an Weges- und Straßenrändern wahr, die an die turbulente Zeit erinnern.
Adolf Jäger kämpfte auf der preußischen Seite für das Hamburger Jägerbatallion. Er starb 1866 im Kriegslazarett Großrinderfeld, das in der katholischen Kirche des Dorfes eingerichtet war, an Cholera. Aus Gründen des Infektionsschutzes wurde sein Leichnam im Wald an der damaligen Badischen Staatsstraße 4 (heute L578) auf halber Strecke nach Gerchsheim bestattet.
Etwa 200 Meter weiter Richtung Nordosten von der Ruhestätte des Hamburgers findet man an der Landstraße ein weiteres Grab. Hier wurden zwei preußische Soldaten beerdigt, die am 25. Juli 1866 bei Kriegshandlungen zu Tode gekommen waren. Identifizieren konnte oder wollte man sie wohl damals nicht mehr.
Nahe der Gemeindegrenze zwischen Großrinderfeld und Impfingen, im sogenannten Teufelsloch, steht ein kleiner Obelisk, der an zwei württembergische Soldaten erinnert, die ebenfalls 1866 hier starben. Ob sie auch an dieser Stelle bestattet wurden, ist nicht bekannt.
Im Deutschen Krieg, der hier vor 150 Jahren tobt, kämpft Österreich mit seinen Gefolgsstaaten, zu denen Baden, Württemberg, Hessen, Nassau und Sachsen zählen, gegen Preußen mit seinen Verbündeten aus dem nord- und mitteldeutschen Raum. Im Rahmen des Mainfeldzugs wird vom 23. bis zum 28. Juli 1866 auch links und rechts der Tauber gekämpft. Der damals 47-jährige Apotheker und Journalist Theodor Fontane, der später mit seinen Romanen zu Ruhm kommen soll, verfasst fünf Jahre später eine zweibändige Beschreibung der Kampfhandlungen aus preußischer Sicht, in der freilich der herausragenden Kampfeskraft und Strategie der später siegreichen Armee wortreich gehuldigt wird.
Seitens der Badenser war Hochhausen-Werbach […] besetzt worden.
Aus Fontanes berufenem Mund mag dies provozierend klingen, jedoch sollte man sich bewusst machen, dass sich die Ländereien um Hochhausen und Werbach nach 650 Jahren Mainzer Herrschaft und einem kurzen Intermezzo des Fürstenhauses Leiningen zu diesem Zeitpunkt bereits seit 60 Jahren unter badischer Besatzung befanden. Diese sollte auch noch weitere 106 Jahre anhalten, bis das Gebiet im Jahre 1973 schließlich dem baden-württembergischen Regierungsbezirk Stuttgart und damit de facto Schwaben zugeschlagen wird. Doch in Fontanes Kriegsberichtserstattung spitzt sich zunächst einmal die Situation an der Tauberbrücke zwischen Hochhausen und Werbach zu:
Ein Artilleriekampf leitete das Gefecht ein. Die beiden Batterien der Brigade unter Commando des Oberstlieutenants Rüder wurden im Trabe vorgezogen und eröffneten ihr Feuer auf die beim Werbacher Kirchhof placirten Geschütze, denen von Werbachhausen her alsbald eine zweite feindliche Batterie zuhülfe eilte. Beide Batterien aber erwiesen sich den unsrigen [Preußen] gegenüber, die eine bessere Position hatten, nicht als gewachsen und mußten unter Zurücklassung eines Geschützes, dessen Fahrpferde gefallen waren, zurückgenommen werden. […] Mit frischem Muthe, trotz sengender Mittagshitze, drangen die Compagnieen v. Warnstedt und v. Ising unaufhaltsam vor und setzten sich unter Miteingreifen der 9. Compagnie 70. Regiments in Besitz der verbarrikadierten Tauberbrücke, während das Bataillon Bremen […] weiter unterhalb die Tauber durchwatete und direkt zum Angriff gegen das Dorf vorging. Auch das Bataillon Baulieu […] unterstützte von rechts her den Angriff, der concentrisch auf Werbach gerichtet, den Feind [die Badener, auf deren Terrain sich das Ganze abspielt] veranlasste, diese Position aufzugeben und durch das Welzthal zurückzugehen. […] Die badische Division verlor 7 Mann todt, 60 verwundet, 13 vermißt. Der diesseitige [preußische] Verlust war etwas größer, namentlich an Offizieren.
Gefecht auf der Tauberbrücke zwischen Hochhausen und Werbach. Illustration von Ludwig Burger aus Theodor Fontanes Kriegsbeschreibung »Der Deutsche Krieg von 1866«, Berlin 1871, Verlag der Königlichen Geheimen Ober-Hofdruckerei (R. v. Decker)
Der gleiche Blick 150 Jahre später. Heute kämpfen hier hauptsächlich Pendler der umliegenden Dörfer um den eigentlich eindeutig geregelten Vorrang beim Überqueren der einspurigen Brücke.
Soweit der Kriegsberichterstatter Theodor Fontane, der sich bei seinem Werk auf zahlreiche Originalquellen beruft, da er freilich die Originalschauplätze nie besucht hat. Dem Tross der zurückweichenden Badener folgen die Preußen. Zwei Dörfer weiter, das Welzbachtal aufwärts, machen sie Station an der Seemühle, etwas nordöstlich des Dorfes Wenkheim. In den Erinnerungen des katholischen Dorfpfarrers Kobe finden sich folgende Aufzeichnungen:
Der Seemüller berichtete: Wir verließen als Familie kurz die Seemühle, um nicht in Kämpfe verwickelt zu werden. Als wir gegen den oberen Mühlbach gingen, standen plötzlich 10 preußische Soldaten da. Sie teilten uns mit, dass keine Gefechte mehr zu erwarten seien. Nach kurzer Zeit kommt Vertrautheit auf. Etliche Soldaten kamen in die Küche und ließen sich Kaffee geben, setzten die kleinen Kinder auf den Schoß und sagten, solche Kinder haben wir auch zuhause und weinten, dass es arg war. Sie bangten um ihr Leben, weil in Würzburg die Festung erobert werden sollte.
Ja, die Preußen sollten siegreich aus dem Krieg hervorgehen. Doch welche der Gäste des Wenkheimer Seemüllers die Kämpfe überleben sollten – wir wissen es nicht. Denn gleichzeitig toben die Kämpfe um die Tauberbrücke in Tauberbischofsheim, einige Kilometer südlich, die Theodor Fontane knapp resümiert:
Unser Verlust [der preußische] betrug 10 Offiziere (1 todt) und 116 Mann […], die Württemberger verloren 31 Offiziere und 639 Mann, darunter 6 Offiziere und 54 Mann todt.
Das Denkmal für die württembergischen Soldaten, die beim Gefecht um die Tauberbischofsheimer Tauberbrücke zu Tode gekommenen Soldaten wurde direkt über deren Massengrab errichtet. Es befindet sich südlich der früheren Badischen Staatsstraße 4, der heutigen Albert-Schweitzer-Straße.
Detail des Tauberbischofsheimer Denkmals.
Und tags darauf zwischen Großrinderfeld und Gerchsheim:
Die Verluste des VIII. Corps beliefen sich (einschließlich 8 Offiziere) auf 253 Mann, wovon 110 Mann auf die hessische, 151 auf die östreichisch-nassauische Division entfielen. Die Preußen verloren 60 Mann, darunter 3 (verwundete) Offiziere.
Preußen gegen Württemberger, den Preußen verbündete Sachsen gegen Badener, Bremer gegen Nassauer, Anhaltiner gegen Hessen: Was der Krieg von 1866 uns schließlich beschert, ist die preußische Vorherrschaft und, damit verbunden, auch heute noch – oder wieder – die Hauptstadt Berlin. Und natürlich ein vereinigtes, Deutsches Reich, das nur wenige Jahrzehnte später ebenso verbissen gegen andere Nationalstaaten kämpfen wird, wie zuvor die ehemals verfeindeten, kleineren Einheiten untereinander.
Was bleibt, sind Gräber am Straßenrand – und beim Lesen der täglichen Nachrichten die Erkenntnis, dass sich die Dimensionen der politischen Strukturen in den vergangenen 150 Jahren zwar gewaltig erweitert haben, dass die Menschen jedoch in derselben Zeit offenbar nur wenig dazulernen konnten.
Markus Goller / Consiliarius
Ein interessanter Geschichtsausflug. Danke
nga
Nachdem wir schon oft auf dieser Straße nach Würzburg gefahren sind, haben wir gestern an den beiden Gräbern entlang der Strecke Großrinderfeld – Gerchsheim angehalten. Die Buchsbaumeinrahmungen haben uns schon lange neugierig gemacht, sie signalisieren ja ein Grab, Denkmal o. Ä. Wir waren überrascht, in dieser im Grund abgelegenen Gegend auf Spuren einer weithin vergessenen Geschichte zu treffen; sie zeigen, daß wir uns nirgendwo im geschichtslosen Raum befinden. Ob wir wollen oder nicht: Sie sind ein Baustein von dem, was Deutschland heute darstellt. Bevor wir daraus Lehren ziehen, müssen wir zuerst davon wissen. Der Artikel hat dazu verholfen.
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