Auch traditionsgeladene Unternehmen überraschen bisweilen mit merkwürdigem Marketing. So zum Beispiel die Schamel GmbH & Co. KG, die seit über 150 Jahren Meerrettich verarbeitet und vertreibt. Schon seit Urzeiten künden Werbung und Etiketten von der bayerischen Herkunft der Produkte. Doch halt! Ein Blick auf die Landkarte zeigt: Das Städtchen Baiersdorf, wo das Unternehmen schon seit seiner Gründung residiert, liegt etwa 25 Kilometer nördlich Nürnbergs im Landkreis Erlangen-Hochstädt, also mitten in Mittelfranken. Freilich, der Landstrich wurde bereits 1810 vom Königreich Bayern annektiert, nachdem er zuvor lange zu Preußen und sogar eine Zeitlang zu Frankreich gehört hatte. Dennoch würde es bis zum heutigen Tage kaum einem Franken einfallen, sich als Bayer zu bezeichnen. Aber das Marketing mit dem überregional erfolgreichen Begriff Bayern, wo der Meerrettich übrigens gar nicht Meerrettich, sondern Kren heißt, steht offenbar weit über dem fränkischen Nationalstolz.
Präsentiert stolz die Schamel-Meerrettiche: Ilona Staller
Dass die Experten für Meerettich-Marketing bei Schamel aber noch weit mehr über den Dingen stehen, zeigt sich noch weit deutlicher in jüngerer Zeit. Schon seit einiger Zeit nämlich prangt auf den Etiketten der Schamel-Merrettichprodukte das gezeichnete Konterfei einer blonden Dame, bei der es sich ganz offensichtlich um die junge Ilona Staller handelt. Ältere Leser erinnern sich: Die Tochter eines ungarischen Ministerialbeamten kam in Italien gegen Ende der Siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts als Pornodarstellerin zu Ruhm und repräsentierte zwischen 1987 und 1992 die Partei Partito Radicale im italienischen Parlament. Dem kunstsinnigen Publikum wurde Ilona Staller durch ihre als Gesamtkunstwerk und Happening inszenierte Ehe mit dem amerikanischen Künstler Jeff Koons bekannt, die jedoch nur gut ein Jahr lang währte.
Und nun ist die ungarisch-italienische Porno-Kunst-Polit-Queen also in gezeichneter Form auf den bayerisch-fränkischen Meerrettich-Produkten von Schamel zu finden. Warum, darüber können selbst Marketingexperten nur spekulieren: Weil Frau Staller so scharf ist – oder zumindest einstmals war – wie die Erzeugnisse aus Armoracia rusticana? Weil sie der radikalen Partei angehörte, radikal von Lateinisch radix, also Wurzel, was ja bekanntlich auch der verarbeitete Teil der Meerrettich-Pflanze ist? Oder sollten die Schamel-Werber schlicht alte persönliche Neigungen wiederentdeckt und im Rahmen des vorhandenen Werbeetats ausgelebt haben? Wir wissen es nicht. Was wir allerdings wissen, ist, warum Ilona Staller auf dem Meerrettichglas in gezeichneter Form abgebildet ist: Weil sie nämlich vermutlich von ihrem Testimonial für das fränkische Feinkostunternehmen gar nichts weiß - und weil man sich die Honorare für die Ex-Mimin und -Politikerin vermutlich auch ganz gern sparen wollte.
Oder sollte es sich gar doch nur um eine zufällige Ähnlichkeit handeln?
Benedikt Hotze
Nein, nein, Cicciolina ist das sicher nicht, denn bei dem Phantombild auf dem Krenglas handelt es sich vielmehr ganz sicher um eine gewisse Myrna Myrtensen aus Norddeicherhuse, die 1987 in Hannover, nur mit einem HP-Taschenrechner bekleidet, ein Bauingenieur-Studium begann und von ihren männlichen Kommiltonen im Hörsaal tuschelnd als “Das blonde Glück” bezeichnet wurde. Sie jobbte gelegentlich als Hostess auf Messen in Norddeutschland, von einem Abschluss ihres Studiums ist hingegen nichts bekannt.
Jens Arne Männig
Myrna zog es seinerzeit eine Stellung als Muse im Ashram eines indischen Gurus dem zu Recht für unüberwindlich gehaltenen Vordiplom vor. Dort lernte sie kurz nach der Jahrtausendwende den auf Selbstfindungsreise befindlichen Erben eines kleineren, US-amerikanischen Medienimperiums kennen. Sie lebt heute als dessen Gattin nahe Philadelphia, wo der Käse wächst. Von Meerrettich ist in ihrem Lebenslauf dagegen keine Spur zu finden.