Männig

Wo Demokratie beginnt

Demokratie lernen und Demokratie leben gehören zusammen: In demokratischen Verhältnissen aufzuwachsen und respektvollen Umgang als selbstverständlich zu erfahren, bildet eine wesentliche Grundlage für die Bildung belastbarer demokratischer Einstellungen und Verhaltensgewohnheiten.
(Magdeburger Manifest zur Demokratiepädagogik, 2005)

 

Das Entsetzen in der Bevölkerung ist derzeit groß: Gegen den Willen des weit überwiegenden Teils der Bevölkerung hat die Bundesregierung die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken durchgesetzt. Sie soll im nächsten Schritt – in Vermeidung demokratischer Entscheidungsprozesse – am Bundesrat vorbei als Gesetz durchgepeitscht werden. Der Bevölkerung wird das Gesetz, das allein der Atomwirtschaft dient und dessen Folgen noch viele Jahre lang von den Steuerzahlern bezahlt werden müssen, mit modernen PR-Euphemismen als Kompromiss verkauft.

Dies ist nicht der erste Schritt, mit dem sich eine Regierung in den letzten Jahren mehr als deutlich vom Willen der Bevölkerung entfernt, ja zu Lasten der demokratischen Basis entschieden hat. Entscheidungen werden mehr und mehr zugunsten einer Klientel, die sich mit Lobbyismus jahrzehntelang um die politischen Strukturen bemüht hat und die mittlerweile mit der Politik eng verwoben ist, getroffen. Was bringt Politiker dazu, sich so weit von ihrem Amtseid, ja von der Demokratie zu entfernen?

Bei genauer Betrachtung der Hintergründe der Akteure der Bundesregierung ist man gewillt zu postulieren: Sie haben es schlicht nie gelernt, demokratisch zu denken und zu handeln. Denn wie im Magdeburger Manifest zur Demokratiepädagogik so treffend festgehalten wurde: Demokratie beginnt nicht mit politischem Engagement in der Öffentlichkeit oder gar mit einem politischen Mandat, sondern mit demokratischen Strukturen, in denen man aufwächst. Und damit meinten die Verfasser des Manifests nicht nur das Staatsgefüge und das Schulsystem, sondern in erster Linie auch die Familie.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, die die jüngste Entscheidung zugunsten der Atomwirtschaft als Revolution bezeichnete, wuchs in einer Pfarrersfamilie in der DDR auf. Weder das religiöse, also durch Dogmen geprägte Elternhaus, noch das Leben in einem diktatorischen Staatssystem mögen ihrem Demokratieverständnis dienlich gewesen sein. So lernte Merkel früh, dass politische Strukturen primär für das eigene Fortkommen hilfreich sein können. Obwohl nicht Mitglied der SED oder einer der Blockparteien, schaffte es die heutige Bundeskanzlerin immerhin bis zur FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda an der Akademie der Wissenschaften in Berlin-Adlershof.

Ende 1989, mitten in den Wirren der letzten Monate der DDR, fand Angela Merkel eine Tätigkeit als EDV-Administratorin, später als Sachbearbeiterin der neugegründeten Partei Demokratischer Aufbruch, deren Mitglied sie dann auch wurde. Nach einem katastrophalen Misserfolg dieser Gruppierung bei den letzten DDR-Volkskammerwahlen fusionierte sie mit der westdeutschen CDU. Auf dem Vereinigungsparteitag im Oktober 1990 lernte Merkel den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl kennen, der ihr zu einem Job als Ministerialrätin im Bundespresse- und Informationsamt und zu einem sicheren Listenplatz bei der bevorstehenden ersten gemeinsamen Bundestagswahl verhalf. Der Rest ihrer Karriere ist bekannt.

Weniger ist bekannt vom persönlichen Hintergrund des Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Norbert Röttgen, der den wähler- und bevölkerungsfeindlichen Atomkompromiss als weltweit einzigartig lobte. Sein Lebenslauf gibt allerdings Auskunft darüber, dass Röttgen bereits im zarten Alter von 17 Jahren in die CDU eintrat und sich dort bis heute sehr erfolgreich durch die Instanzen diente. Instanzen, die, wie jeder, der damit jemals in Kontakt gekommen ist, weiß, selbst nicht sonderlich demokratisch geprägt sind und deren Gremien am liebsten hinter geschlossenen Türen tagen. Ohne Unterordnung unter den undemokratischen Partei- und Fraktionszwang, der bei genauerer Betrachtung in der Bundesrepublik Deutschland sogar verfassungsfeindlich ist, lässt sich eben die eigene politische Karriere leider nur schwer realisieren.

Zwei Beispiele, die zeigen, wie wahr die abgedroschene Weisheit Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr doch ist. Wenn wir also wollen, dass kommende Generationen von Menschen, die politische Verantwortung tragen, sich demokratischer verhalten, dann müssen wir diesen die Grundlagen dafür heute mitgeben. Und dies ist keine Aufgabe der politischen Parteien, auch nur in zweiter Linie die Aufgabe der Schulen, sondern zunächst einmal die Pflicht der Familie und der Eltern. Wenn Demokratie nicht im Elternhaus gelebt wird, demokratische Strukturen nicht zu gemeinsamen Entscheidungen der Familie führen, Eltern ihre Kinder nicht bei der Durchsetzung demokratischer Rechte auch außerhalb des Elternhauses unterstützen, dann werden auch die daraus entwachsenden kommenden politischen Mandatsträger ethisch scheitern müssen.

Wir Eltern haben es heute in der Hand. Wir sind in der Pflicht. Wenn es auch schwer ist, es sich jeden Tag wieder aufs Neue bewusst zu machen, dass Demokratie in der Familie beginnt.
 

Hörtipp: Einmischen erwünscht – Wie bringt man Jugendliche zur Demokratie? Eine Sendung des SWR aus der Reihe SWR 2 Forum. Es geht in der Sendung primär um Schul- und Jugendparlamente, weniger um die Demokratie in der Familie.