Männig

Über den Wert von Titeln

Ein bayerischer Hochschullehrer begab sich einst in die Oberpfalz, um dort, in der Stille der Natur, ein Seminar abzuhalten. Nach dem Ende der Lehrveranstaltung ließ er sich zum örtlichen Bahnhof chauffieren, von wo aus er mit dem nächsten Zug die Heimreise antreten wollte. Doch so sehr er sich auch bemühte, er konnte auf der Abfahrtstafel den Zug nicht finden, für den man ihm seine Verbindungsdaten auf einem kleinen Computerausdruck ausgehändigt hatte.

Doch wie es der Zufall wollte und wie es auch in jenen Tagen schon längst nicht mehr selbstverständlich war, traf er auf dem Bahnhof einen livrierten Bahnmitarbeiter an, bei dem es sich wohl um den Bahnhofsvorsteher handeln musste. Schnell war dieser um Rat gefragt. Doch der Bahnbeamte schlug nur die Hände über dem Kopf zusammen. Wer hat Ihnen denn diese Verbindung herausgesucht?, wollte er wissen. Sicher, dieser Zug fährt hier, jedoch hält er nicht an dieser Station.

Unser Hochschullehrer zeigte sich betroffen, hatte er doch gehofft, rechtzeitig zum Abendessen wieder in seiner Heimatstadt zu sein, wo ihn die Gattin sicherlich schon mit einem schmackhaften Abendessen erwarten würde. Zeigen Sie mir doch bitte mal Ihren Fahrschein, riss ihn der Bahnhofsvorsteher aus seinen Gedanken. Der Dozent tat wie ihm geheißen, der Uniformierte betrachtete das Dokument, hob seine Augenbrauen und verschwand schließlich hinter einer Tür, die mit den Worten Kein Zutritt gekennzeichnet war.

Kurz darauf tauchte er jedoch schon wieder auf und griff den verblüfften Hochschullehrer beim Handgelenk. Kommen Sie mit, rief er, wir kriegen das schon für Sie hin! Wenige Minuten später rollte der Zug heran, genau zur rechten Zeit, jedoch erstaunlich langsam, bis er schließlich am Bahnsteig ganz zum Stehen kam. Außerplanmäßiger Halt!, erschallten die Lautsprecher des Bahnhofs, Bitte halten Sie die Türen geschlossen und verlassen Sie nicht den Zug!

Ich habe jetzt einfach das Signal auf Stop gestellt, erklärte der Stationsvorsteher. Sie wären doch sonst heute gar nicht mehr nach Hause gekommen. Steigen Sie ein und haben Sie eine gute Fahrt! Der erstaunte Fahrgast tat, wie ihm geheißen und konnte sich gerade noch mit einigen dürren Worten bedanken. Mein Glück war, berichtete er später, dass damals jemand anderes die Fahrkarte für mich gebucht hatte. Deshalb stand, ganz ungewohnt, auf dem Fahrschein »Professor« vor meinem Namen. Für einen Normalsterblichen hätten sie den Zug sicherlich niemals angehalten.