Männig

Der Showman

Ein zwanzigster November ist auch immer ein Feiertag, denn an einem zwanzigsten November wurde Otto von Guericke, der Erfinder der Luftpumpe und damit einzig legitime Schutzpatron aller Fahrradfahrer, geboren. Zumindest dann, wenn man den damals gültigen, Julianischen Kalender zugrunde legt. 410 Jahre ist das jetzt her. Aber von Guericke war nicht nur Erfinder, sondern auch studierter Jurist, Politiker und – sicherlich mit seinen beiden zuvor genannten Qualifikationen eng verbunden – ein begnadetes Showtalent. Noch als einfacher Otto Gericke, also vor seiner Erhebung in den Adelsstand und bevor er seinen Namen mit einem u eine schickere, französische Anmutung gegeben hatte, wirkte er als einer von vier gleichzeitig amtierenden Bürgermeistern in seiner Heimatstadt Magdeburg. Diese Tätigkeit muss ihm viel Zeit gelassen haben, denn schon drei Jahre nach der Berufung ins Amt hatte er die weltweit erste funktionsfähige Kolben-Vakuumpumpe entwickelt.

Nach einigen Experimenten mit diesem Gerät fehlte es noch immer an wirklichen Einsatzmöglichkeiten für G(u)erickes Erfindung, was ihn allerdings nicht hinderte, sie gleich mehrfach spektakulär in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Nachdem schon früher luftleer gepumpte Kupfergefäße bei seinen Versuchen unbeabsichtigt durch den äußeren Luftdruck verformt und damit beschädigt worden waren, ließ er sich nun weit stärkere Halbschalen aus Kupfer fertigen, die später als Magdeburger Halbkugeln berühmt werden sollten. Diese wurden mit einer angefeuchteten Lederdichtung zusammengefügt, bevor man die Luft aus dem Inneren der Konstruktion abpumpte. Die Größe der Halbschalen war dabei geringer, als man anhand zeitgenössischer Darstellungen vermuten könnte: Ihr Durchmesser betrug gerade einmal etwas über 43 Zentimeter.

Für seine Präsentation hatte sich Guericke die Crème de la Crème der Multiplikatoren ausgesucht: Vor dem versammelten Reichstag zu Regensburg ließ er an beiden Seiten seines Apparats je ein Kutschgespann mit jeweils 15 vorgespannten Rössern befestigen. Und siehe da, selbst diese 30 Pferde schafften es nicht, die allein vom äußeren Luftdruck zusammengehaltenen Kugelhälften auseinanderzureißen – wie auch noch heute allenthalben nachzulesen ist. Aber halt, 30 Rösser? Wer, wenn auch schon vor Jahrzehnten, die neunte Klasse einer deutschen Schule überlebt hat, sollte sich ja eigentlich noch an die Newtonschen Gesetze erinnern. In diesem Fall besonders an das Dritte:

Deutscher Text

Kräfte treten immer paarweise auf. Übt ein Körper A auf einen anderen Körper B eine Kraft aus (actio), so wirkt eine gleich große, aber entgegen gerichtete Kraft von Körper B auf Körper A (reactio).

Originaltext

Actioni contrariam semper et aequalem esse reactionem: sive corporum duorum actiones in se mutuo semper esse aequales et in partes contrarias dirigi.

Das bedeutet: Ziehen an einer Kugelhälfte Kräfte, die man heute praktischerweise auch gleich mit der Einheit Newton bemisst, dann wirken an der anderen Kugelhälfte Kräfte der exakt gleichen Stärke. Und dabei ist es völlig nebensächlich, ob diese zweite Kugelhälfte an Pferden oder beispielsweise an einem gut verwurzelten Baum befestigt wurde. Und mehr noch: Hätten 15 Pferde an einer Seite ruckartig gezogen und die andere wäre fest verankert gewesen, dann hätten sie es möglicherweise noch vermocht, die Kugelhälften auseinanderzureißen. Durch die dynamische Reaktion und Wechselwirkung der Pferde auf beiden Seiten war es jedoch weit schwieriger, die Kraft der 15 Pferde effizient einzusetzen.

Wenn auch Isaac Newton seine Philosophiae Naturalis Principia Mathematica erst 33 Jahre nach Guerickes Showeinlage in Regensburg veröffentlichte, kann man dennoch davon ausgehen, dass unser Magdeburger Bürgermeister sehr wohl wusste, was er tat. Denn obwohl er die sensationelle Demonstration später am preußischen Hof noch einmal in einer abgespeckten Version mit nur 16 Pferden vorführte, verwendete der fürderhin für seine Experimente außerhalb der Öffentlichkeit eine weit pragmatischere Konstruktion. Seine gesammelten Erkenntnisse hat Guericke in seinem Hauptwerk Experimenta Nova (ut vocantur) Magdeburgika De Vacuo Spatio zusammengefasst, das die Universität Straßburg freundlicherweise ins Netz gestellt hat und das mehr als einen Blick wert ist.

Und die Geschichte, wie Guericke einmal aus ein paar gefundenen Wollnashorn- und Mammutknochen ein wunderschönes Einhornskelett (re)konstruierte, auf das sogar der olle Leibniz hereinfiel, die erzähle ich euch an seinem nächsten Geburtstag. Freilich könnten wir diesen eigentlich bereits in zehn Tagen feiern, denn nach dem heute gültigen, Gregorianischen Kalender würde sich Guerickes 410. Geburtstag ja erst am 30. November jähren.

Ein Satz original erhaltener Guericke-Kupferhalbkugeln nebst Luftpumpe befindet sich im Deutschen Museum in München, ein weiterer ist in der Bibliothek der Universität Braunschweig ausgestellt.