Männig

iPhonografie: ProCamera und Camera+

Dieses Foto war für mich der Anlass, mich schließlich doch mit Foto-Applikationen für das iPhone zu beschäftigen, die etwas mehr können, als das mitgelieferte Programm Kamera. Fast unmöglich war es mit der regulären iPhone-Kamera, die kleine Jesusfigur auf dem dunklen Holzkreuz vor dem Hintergrund des hellen Himmels wirklich erkennbar werden zu lassen. Also begann die Suche nach einem iPhone-Tool, das den Nutzer Einfluss auf die Belichtung oder die Bildkontraste nehmen lässt. Zwei Programme, die diesem Anspruch genügen und die gleichzeitig noch einiges mehr können, waren schnell gefunden: Camera+ aus der amerikanischen App-Schmiede TapTapTap und ProCamera, das Produkt des Mannheimer Entwicklers Jens Dämgen.

Beide iPhone-Tools beherrschen die Grundlagen: Die Messpunkte für Fokus und Belichtung können entkoppelt werden, so dass der Nutzer die Punkte für die jeweiligen Messungen innerhalb des gewählten Bildausschnitts individuell und voneinander unabhängig bestimmen kann. Beide liefern mit einem Sechsfach-Zoom theoretisch etwas mehr als die 5x der werksmäßigen Apple-Kamera. Die höheren Zoomfähigkeiten begeistern jedoch aufgrund der groben Rasterung des digitalen Zooms kaum. ProCamera bietet hier zwar eine Funktion namens Full-Res-Zoom zur Verbesserung der Ergebnisse, die jedoch in der Praxis nur in Einzelfällen überzeugen kann.

Die Zoomfunktion wird bei Camera+ mit einem Schieberegler am rechten Bildschirmrand bedient. Pro Camera bietet dagegen gleich drei Möglichkeiten des Zoomens: Per iPhone-typischem Pinch, also durch Aufziehen von Daumen und Zeigefinger, durch Links-Rechts-Schieben am unteren Bildschirmrand oder mit zwei optionalen Softbuttons. Was bei ProCam völlig überzeugen kann, ist die Möglichkeit, Aufnahmen durch einen einfachen Tipp auf jede beliebigen Stelle des Touchscreens auszulösen. Die fummelige Suche nach dem kleinen Aufnahme-Button entfällt damit endlich auch für Eilige oder grobmotorischere Naturen.

Ein klassisches Problem der iPhone-Kamera ist der ständige, automatische Weißabgleich, der zu auffälligen Farbunterschieden bei zusammenhängenden Bilderserien führen kann. Camera+ wie auch ProCamera ermöglichen es mit einem einfachen Tipp, diesen Weißabgleich zu sperren. Da ProCamera auch über einen Videomodus verfügt, kann es diesen Vorteil auch beim Filmen ausspielen. Die Fähigkeiten von Camera+ beschränken sich dagegen leider ausschließlich auf das Aufnehmen von Einzelbildern.

Über einen Selbstauslöser verfügen wiederum beide der Software-Tools, ebenfalls über einen Verwackelungsschutz, der bei ProCamera Anti-Shake, bei Camera+ Stabilizer heißt. Da dieses Feature auf einen möglichst wackelfreien Moment des iPhones wartet, macht er natürlich das Fotografieren insgesamt langsamer, sobald er einmal aktiviert ist. Eine Funktion, die Camera+ dem Konkurrenten voraus hat, ist der Burst-Mode, der schnelle Serienbilder erlauben soll. Die Bildauflösung wird dabei jedoch gleichzeitig deutlich herabgesetzt.

Raster zur leichteren Bild- und Liniengliederung sind ebenfalls bei beiden getesteten Programmen vorhanden. Während sich Camera+ auf eine Gliederung in neun Einzelfelder beschränkt, bietet ProCamera dem Fotografen ganz nach Geschmack gleich drei unterschiedliche Raster. Daneben verfügt ProCamera über einen künstlichen Horizont und einen integrierten Kompass, der in den Bilddaten auch jeweils die Himmelsrichtung der Aufnahme mit aufzeichnen kann. Alle diese Features lassen sich in beiden Apps natürlich auch ausblenden.

Unterschiedlich ist der Umgang der Tools mit einmal aufgenommenen Bildern. ProCamera bietet hier die optionale Möglichkeit einer Voransicht zur Freigabe vor Speicherung im Fotoalbum des iPhones. Camera+ legt neue Bilder in der Voreinstellung zunächst in einer so genannten Lightbox ab, von wo aus sie in einem weiteren Arbeitsschritt erst in den Bilderspeicher des iPhones verschoben werden müssen. In der aktuellen Programmversion kann diese Eigenheit aber glücklicherweise auch zugunsten einer direkten Speicherung im Fotoalbum abgeschaltet werden.

Fotos aus dem iPhone-Album können beide Apps laden und bearbeiten. Camera+ bedient sich dabei wieder des bereits beschriebenen Umwegs über die Lightbox. Das Beschneiden, Spiegeln und Drehen von Bildern gehört in jedem Fall zur Grundausstattung. Dabei beherrscht ProCamera zusätzlich zu den üblichen 90°-Drehschritten noch eine freie Drehfunktion. Für den Bildbeschnitt bieten beide Programme zusätzlich zur freien Ausschnittwahl noch verschiedene voreingestellte Seitenverhältnisse wie 4:3 oder 16:9 an.

Spätestens, seitdem mit Instagram ein unglückseliger Retro-Trend die Welt der digitalen Hobbyfotografie überrollt hat, gehören allerhand vorgefertigte Verfremdungseffekte offenbar zur elementaren Grundausstattung jeder Fotosoftware. Sowohl Camera+ als auch ProCamera sind mit einer weit mehr als ausreichenden Zahl solcher Möglichkeiten der scheinbaren Kreativität von der Stange ausgestattet.

ProCamera erlaubt jedoch auch ein gezieltes, wirklich individuelles Eingreifen in die Bildgestaltung: In einem ProLab genannten Bereich können unter anderem Helligkeit, Kontrast und Farbintensität von Bildern per Schieberegler einfach und schnell justiert werden. Ein Tipp auf einen Button erlaubt dabei immer die Vorher-Nachher-Kontrolle. So lassen sich sinnvolle Einstellungen an bereits vorhandenen Fotos auch jenseits der verbreiteten Gag-Effekte vornehmen.

Was die Benutzeroberfläche betrifft, bedarf Camera+ mit seinen übereinander liegenden Slider-Menüs einer etwas aufmerksameren Einarbeitung. Die merkwürdige Auswahl einer Schrifttype für die Menüs, die an einen Relaunch der Frauenzeitschrift Brigitte in den 80ern erinnert, verbessert den ästhetischen Eindruck leider nur wenig. Ein glücklicheres Händchen hatte da der Entwickler von ProCamera: Die Menüstrukturen sind klar, einfach und intuitiv verständlich. Übersichtlicher wäre es freilich noch, wenn die Texteinträge in den Menüs nicht fast durchgängig in Großbuchstaben gehalten wären.

Fazit: Während Camera+ zunächst vielleicht einen etwas schickeren Eindruck macht und mit einer größeren Anzahl positiver Bewertungen auf seiner AppStore-Seite aufwarten kann, bietet ProCamera feinere Einstellmöglichkeiten und ein angenehmeres Handling für den anspruchsvollen Nutzer. Die Zielgruppe von Camera+ scheint der trendige Mainstream zu sein, während ProCamera eher die iPhone-Fotografen anspricht, die sich auch abseits von Handy-Kameras bereits mit anspruchsvollerer Fotografie oder vielleicht sogar Laborarbeit beschäftigt haben.

ProCamera kostet 2,39 Euro im AppStore, während Camera+ zur Zeit für einen Sonderpreis von 79 Cent zu haben ist.