Männig

Das Wuchern der Privatheit

Irgendwann in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts muss es begonnen haben. Plötzlich begannen in den Treppenhäusern der Mietskasernen Kränze und Gestecke aufzutauchen, die an den Wohnungstüren hingen und die je nach Saison mehr oder weniger regelmäßig ausgewechselt wurden. Noch einige Jahre zuvor war die Verkündung des Fensterrechts durch den Künstler Friedensreich Hundertwasser in der populären Fernsehshow Wünsch dir was weitgehend auf Verwunderung, ja auf Unverständnis gestoßen. Doch inzwischen war es offenbar soweit: Das Bedürfnis, den eigenen Geschmack in den öffentlichen Raum zu tragen, wollte sich nicht mehr auf Kleidung, Häuser und Autos beschränken. Immer mehr greifen seit diesem Zeitpunkt einzelne Personen nach eigenem Ermessen in Räume und Plätze ein, deren Gestaltung nach bisherigen Konventionen der Gemeinschaft oblag.

Ein treffliches Beispiel begegnet mir auf meinen täglichen Wegen am Rande einer Kleingartenkolonie. Um diese Schrebergartenanlage herum haben Betreiber und Gemeinde eine naturnahe Bepflanzung aus einheimischen Stauden und Gehölzen angelegt, die Vögeln und Insekten eine Heimat bietet. Der Pächterin einer einzelnen Parzelle der ohnehin auf Stil und Ordnung bedachten Anlage hat dies offensichtlich nicht behagt. In mehrtägiger Kleinarbeit hat sie nun Büsche und Stauden ausgerissen und statt dessen Buchsbaum, Kirschlorbeer und andere Neophyten gepflanzt.

Die von der Gemeinschaft angelegte Wiese musste der unvermeidlichen, tristen Rindenmulchfläche Platz machen. Es muss ja schließlich alles seine Ordnung haben. Da die nun gesetzten Pflanzen für das mitteleuropäische Klima nicht geeignet sind, wurden sie gleich für den Winter in dekoratives Sackleinen verpackt. Lediglich ein einzelner Baum hat, bislang zumindest, die Radikalkur überlebt. Sobald er größer wird und sein Laub auf den Rasen der raumgreifenden Gärtnerin wirft, werden jedoch seine Chancen sicherlich auch schwinden. Was fehlt, sind eigentlich nur noch die heute fast unvermeidlichen Solarleuchten, deren Leuchtdioden bei Nacht mit farbwechselndem Lichtspiel erfreuen. Aber vermutlich hat in diesem Fall die Angst vor Diebstahl die Überhand behalten, schließlich führt hier ein relativ viel begangener Weg direkt vorbei.

Handelt es sich hier lediglich um einen neuen, reaktionären Trend innerhalb des Guerilla Gardening oder nimmt tatsächlich der Energie zu, mit der Einzelne ihren Mitmenschen ihren Willen und Geschmack zwangsverordnen wollen? Findet das Missionieren, offenbar ein Grundbedürfnis vieler Menschen, in einer zunehmend areligiösen Welt einfach nur in anderen Lebensbereichen statt?