Männig

Medienkompetenz per Lehrplan?

Soll die Politik Einfluss auf die Medienkompetenz von Kindern Jugendlichen und Erwachsenen nehmen, indem sie die Lehrpläne einzelner Schulfächer ändert? Genau dies fordert der rührige Münchner Diplom-Pädagoge, Social-Media-Berater und Eventveranstalter Thomas Pfeiffer im jüngsten Blogartikel auf seiner Internetseite webevangelisten.de.

Es mag für einen Pädagogen nahe liegend sein, eine Veränderung der Gesellschaft zum Besseren durch staatlich verordnete Lehrpläne in öffentlichen Schulen herbeiführen zu wollen. Ob jedoch dieser Weg ob der im Schnitt eher unterdurchschnittlichen Motivation des verbeamteten Lehrpersonals Erfolg verheißt, muss bezweifelt werden. Ebenso kritisch zu betrachten ist die Prämisse des Webevangelisten, die Begriffe Politik und Gesellschaft gleichzusetzen, gerade in einem Staats- und politischen System, in dem sich die Aktivitäten der politischen Führung immer weiter von den Interessen des verfassungsmäßigen Souveräns zu entfernen scheinen.

Während sich die Welt insgesamt und ganz besonders die der Medien in erstaunlicher Weise internationalisiert hat, befinden wir uns in Deutschland noch in einer Situation anachronistischer Kleinstaaterei. Über Medienrecht wie Bildung, also auch die Lehrpläne, bestimmt jedes einzelne Bundesland für sich. Die politische Klasse in einem Land wie Bremen mag es für normal halten, davon auszugehen, dass die Ätherwellen an den Grenzen ihres 325 km² großen Reiches abprallen und dass man Medienpolitik und Medienbildung für gerade mal 660.000 Menschen gestaltet. Zweckmäßig ist die in einer Zeit, in denen sich Menschen per Internet ohne Rücksicht auf Grenzen und politische Systeme vernetzen, dennoch nicht.

Schulfächer haben, auch in ihrer herkömmlichen Ausgestaltung, durchaus ihre Existenzberechtigung. Durch eine Verzerrung der Lehrinhalte in den einzelnen Fächern zugunsten moderner oder auch nur derzeit modischer computerbasierter Techniken wird stets die ursprüngliche Disziplin selbst in ihren Kerninhalten leiden. Im Schulfach Deutsch geht es beispielsweise primär um Sprache, gleich, über welches Medium diese transportiert wird. »Gestalten mit Bildern und Videos« ist dort fehl am Platz.

Ebenso ist es ein Fehlschluss, wer nur das richtige Computerprogramm habe und damit umgehen könne, sei in der Lage, künstlerisch Wertvolles zu erzeugen. Fotoretusche ist Handwerk, keine Kunst. Primäre Aufgabe des Kunstunterrichts ist es, ästhetische Grundlagen zu vermitteln, die in den verschiedensten Ausführungstechniken angewandt werden können. Und wie schmerzlich gerade diese ästhetischen Grundlagen fehlen, stößt dem kundigen Betrachter ja immer wieder bei einem Großteil computererstellter Werke in Kunst und Werbung übel auf.

Ob es Aufgabe des Sozialkundeunterrichts ist, Kinder und Jugendliche an kommerzieller Internetangebote wie Facebook, MySpace oder Xing – so genannte Soziale Netzwerke – heranzuführen, muss ebenfalls äußerst kritisch hinterfragt werden. Schule im klassischen Sinne soll Grundlagen des Wissens vermitteln. Dass Schule den Schülern auch stets die jüngsten, möglicherweise kurzlebigen Modetrends vermitteln muss, mag im Interesse von Protagonisten und Profiteuren dieser Trends und Beratern in ihrem Umfeld sein, im Interesse des Gemeinwesens ist dies jedoch nicht.

Versteht man unter Medienkompetenz den geübten und selbstverständlichen Umgang mit den medialen Neuentwicklungen der letzten 25 Jahre, dann dürften die Schüler zumindest der weiterführenden Schulen ihren Lehrern im Durchschnitt weit voraus sein. Sicher: Eine ausgeprägt kritische Betrachtung dieser Medien wird man weit eher beim Lehrpersonal finden, und das genau aus dem Grund, dass sich Lehrer und Lehrerinnen im Schnitt weit ungeübter in diesen Medien bewegen. Daher ist es zu bezweifeln, dass genau dieses Lehrpersonal die Inhalte aufoktroyierter Lehrpläne kompetent an seine Schüler vermitteln kann.

Ruft man nach Staatsmitteln für Bildungsangebote nicht nur für Schüler, sondern auch für Erwachsene aller Altersklassen, so muss man sich bewusst machen, dass der Staat gerade mit verschiedensten Initiativen, Verordnungen und Gesetzen versucht, sich diejenigen neueren Medien untertänig zu machen, die ihm bislang noch nicht per Rundfunkstaatsvertrag assoziiert waren. Da der Staat damit gezielt versucht, auf die Entwicklung dieser Medien in seinem Sinne Einfluss zu nehmen, ist von ihm keine Förderung neutraler Bildungsangebote zu erwarten.

Einmal mehr erscheint es aus diesen Gründen als Irrweg, nach einer Rettung durch Staat und Schule zu rufen. Wissen, Bildung und gesellschaftliche wie Medienkompetenz sollten – gerade vor dem Hintergrund der Möglichkeiten moderner Medien und Kommunikationsmittel – soziale Fähigkeiten sein. Es ist die Aufgabe der gesamten Gesellschaft, sich dieser Fähigkeiten zu bedienen, ebenso wie die Aufgabe, sie fortzuentwickeln und Menschen aller Altersklassen und Schichten bei Interesse an sie heranzuführen.

Es handelt sich damit um eine gesellschaftlichen Auftrag für alle kompetenten und verantwortungsvollen Mitglieder der Gesellschaft, nicht um ein Projekt, das an Politiker, Schulbehörden und Lehrer outgesourct werden sollte. Funktionierende, demokratisch strukturierte Gemeinwesen haben sich stets durch gegenseitige Unterstützung der Individuen ausgezeichnet: In der eigenen Familie, in der Nachbarschaft, im Verein – und nicht zuletzt inzwischen auch, über alle Länder- und Staatsgrenzen hinweg, in den Sozialen Netzwerken. Wer Politik und Schulämtern auch in diesem Bereich die Hoheit über die Meinungsbildung und damit die Macht zuschanzen will, akzeptiert damit gleichzeitig, dass Politiker und Beamte die weitere Entwicklung in ihrem Sinne und damit im Sinne der heute politisch bestimmenden Wirtschaftsunternehmen steuern.

Wer aber an Vielfalt und demokratischen Verhältnissen im Netz, in anderen neuen Medien und im gesamten gesellschaftlichen Leben interessiert ist, der nimmt die Förderung interessierter Menschen in seinem persönlichen Umfeld und im Alltag ganz selbstverständlich selbst in die Hand. Und dazu muss man noch nicht einmal erklärter Evangelist sein.
 

Ergänzung am 1. November 2010: Inzwischen hat zumindest die baden-württembergische Kultusministerin einmal erläutert, wie sie sich die Erziehung zur Medienkompetenz vorstellt. Kurz gesagt: Die Vorschläge decken sich kaum mit den Idealvorstellungen für diesen Bereich.