Männig

Die Invasion der Apps: Alternativen für Nutzer

Wer bei neuem technischen Spielzeug nicht widerstehen kann und sich deshalb schon frühzeitig ein iPhone angeschafft hat, wird sich vielleicht noch erinnern: Bis in den Sommer 2008 gab es keine Softwareprogramme (»Apps«) für dieses Gerät – außer denen, die beim Kauf mitgeliefert worden waren. Apple setze in der Anfangszeit vollständig auf so genannte WebApps, für den kleinen Bildschirm des iPhone optimierte Webseiten, die  mithilfe von Datenbanken auch in gewissem Umfang die Funktion von Programmen ausüben konnten. Mit der Einführung des iPhone 3G wurde jedoch am 11. Juli 2008 auch gleichzeitig der AppStore eröffnet, in dem online weitere Programme erworben werden konnten. Waren anfangs knapp 500 Programme für iPhone und iPod Touch dort vorzufinden, so ist die Zahl bis heute auf weit über 100.000 angestiegen.

Art und Funktion der Apps ist dabei höchst unterschiedlich. Ein hoher Prozentsatz führte anfangs tatsächlich eine originäre, mehr oder weniger nützliche Leistung auf dem Endgerät aus. Mehr und mehr geht der Trend jedoch dahin, Apps anzubieten, die nichts anderes tun, als eine in das Programm verpackte Ansicht des Contents einer einzelnen Webseite darzustellen. Vorteil für den Leser oder Nutzer der App: Die Webseite ist auf dem kleinen Touchscreen des iPhone oder iPod Touch leicht lesbar und gut zu navigieren. Für den User ist eine derartige geschlossene App aber auch mit erheblichen Nachteilen verbunden: Der herausragende Vorzug des Lesens im Internet, das Herstellen und Verfolgen von schnellen Querverbindungen zu anderen Informationen zu anderen Informationen im Internet durch Hyperlinks, wird weitgehend unterbunden.

Warum aber sprießen die Apps für das iPhone und mittlerweile ebenso für das Google-eigene Betriebssystem Android quasi wie die Pilze aus dem Boden? Der Grund dafür ist eindeutig im Marketing der jeweiligen Webseitenanbieter zu suchen. Zum einen kann der Leser eben der App nicht so einfach, zumindest nicht ohne das Einverständnis des App-Anbieters, dessen Informationsangebot über einen Hyperlink entkommen. Er hält sich damit länger im entsprechenden Angebot auf und kehrt auch zuverlässiger wieder durch den simplen Klick auf die App dorthin zurück. Darüber hinaus können eventuell vom Nutzer im Browser installierte Werbeblocker innerhalb einer App nichts ausrichten: Der Leser wird die Werbung, die der Informationsanbieter für ihn vorgesehen hat, zwangsläufig innerhalb der App wahrnehmen müssen.

Ein weiterer Grund, auf Apps statt auf Webseiten zu setzen, ist der in letzter Zeit immer stärker werdende Wunsch insbesondere der alt-etablierten Medienhäuser, endlich Geld mit ihren Internetauftritten zu verdienen, wenn die Umsätze im Printbereich schon immer weiter einbrechen. Anders ausgedrückt: Wenn die Einnahmen durch Anzeigen oder Bannerwerbung drastisch sinken, muss eben der Leser endlich in die Tasche greifen. Die neueste Generation von Apps erlaubt genau dies: Ein abonnementartiges Abrechnungsmodell, bei dem dem Nutzer oder Leser für für einen bestimmten Zeitraum jeweils vorab eine festgelegte Gebühr zu entrichten hat. Für Unternehmen wie den Axel Springer Verlag mit Bild und Welt sowie die Süddeutsche Zeitung, die mit als erste auf diesen Zug aufgesprungen sind, ist es ein verzweifeltes Unterfangen: Schon vor einigen Jahren war der Versuch, den Internet-Leser mithilfe des ePaper-Standards für gängige Browser zur Kasse zu bitten, weitgehend gescheitert. Zu träge und leistungsfressend war das Datenformat, es brachte Browser und Rechner gleich reihenweise zum Absturz und die zahlwilligen Leser zur Verzweiflung.

Wer behauptet, die Apps seien aber schlicht die einfachste und komfortabelste Art und Weise, regelmäßig Informationen auf mobilen Endgeräten aufzunehmen, der hat sich offenbar bisher schlicht zu wenig mit der Materie und den Möglichkeiten beschäftigt. Es gibt nämlich weit angenehmere und vor allem selbstbestimmtere Methoden, sich aus der gewaltigen Bandbreite der im Netz bereitstehenden Informationen seinen eigenen, individuellen Newsmix zusammenzustellen, und das zu minimalen, einmaligen Kosten. Das Zauberwort heißt dabei RSS- oder Atom-Feeds. In diesen XML-basierten Formaten bieten mittlerweile fast alle Anbieter von regelmäßig ergänzten und fortgeschriebenen Webseiten deren Inhalt optional und ohne weitere Kosten an. Der Inhalt der Feeds beider Formate lässt sich in einem Feedreader lesen, bei dem es sich entweder um ein eigenes Programm, oder um eine eigens optimierte Webseite für die individuelle Zusammenstellung der Feeds handelt. Auf mobilen Endgeräten wie dem iPhone sind die Feeds ebenso lesbar, ob im Browser oder in einer Feedreader-App, die die Inhalte für den kleinen Bildschirm optimiert.

Als Beispiel einer entsprechenden, leicht nachstellbaren Konfiguration stelle im Folgenden meine eigene Zusammenstellung dar. Dies bedeutet nicht, dass es keine anderen Möglichkeiten gäbe, vielmehr handelt es sich dabei um eine Auswahl von Programmen und Einstellungen, die sich für mich nach zahlreichen Tests als die derzeit praktikabelste, problemloseste und preiswerteste – in der eigentlichen Bedeutung des Wortes – erwiesen hat. Von Lesern, die Mac-Nutzer mit iPhone sind, lässt sie sich auch einfach eins zu eins nachstellen.

1. Google Reader

Der Online-Feedreader von Google ist kostenlos und bietet für die meisten Nutzer weit mehr Möglichkeiten, als man sich je wünschen wird. Das Lesen direkt im Browser ist schon recht komfortabel und bietet verschiedenen Einstelloptionen, lässt sich aber mit entsprechenden Kenntnissen beispielsweise durch optimierte CSS-Stylesheets noch weiter individuell anpassen. Nutzer eines gut justierten Werbeblockers können beim Lesen im Browser obendrein ihre Informationsaufnahme sinnvoll fokussieren. Das Einrichten des eigenen Accounts im Google Reader erfordert einen Google-Account, über den beispielsweise Nutzer von Google Mail ohnehin verfügen.

2. NetNewsWire

NetNewsWire ist der kostenlose Newsreader für den Mac, der schon seit längerer Zeit die Standards setzt. In seiner aktuellen Version greift er auf die Informationen von Google Reader zu und stellt sie in einer weiter optimierten Oberfläche außerhalb des Browsers dar. Der Nutzer kann die Darstellung individuell mithilfe so genannter Styles weiter an seinen persönlichen Geschmack und seine Lesegewohnheiten anpassen. Einige Styles werden beim Programmdownload gleich mitgeliefert, weitere sind kostenlos downloadbar. Die Schnittstelle zwischen Google Reader und NetNewsWire erlaubt es auch, neue Feeds direkt aus dem Programm oder zu abonnieren, zu sortieren, zu gruppieren oder Abonnements zu beenden, ohne jedes Mal die Webseite des Google Reader besuchen zu müssen.

3. Reeder

Reeder ist der derzeit komfortabelste und funktionellste Feedreader, der im AppStore für das iPhone erhältlich ist. Zum Preis von 2,39 Euro erhält man nicht nur eine übersichtlich gestylte und intuitiv bedienbare Benutzeroberfläche, sondern auch alle Schnittstellen zu anderen Programmen und Webcommunities, die man sich wünschen kann. So lassen sich Artikel in Instapaper oder ReadItLater speichern, an Twitter, Delicious oder Pinboard schicken oder auch klassisch per E-Mail weiterleiten. Einzig gewöhnungsbedürftig ist zunächst die nikotinbraune Gestaltung des Interface, was jedoch durch die beschriebene Funktionalität und Stabilität in den Hintergrund tritt. Ebenso wie NetNewsWire holt sich Reeder alle Daten und Feeds direkt vom Google Reader. Der große Vorteil bei diesem Vorgehen ist die automatische Synchronisierung: Gleich, ob der Nutzer seine Nachrichtenfeeds im Browser, im Feedreader zuhause oder unterwegs auf dem iPhone liest: Es werden stets nur die neuen Meldungen angezeigt, die, gleich mit welchem Gerät, noch nicht vom Google Reader abgerufen wurden – es sei denn, man wählt eine andere Einstellung.

4. Instapaper pro

Da die Detailanzeige aller Feedreader für das iPhone oft wieder auf die eigentliche Webseite leitet, auf der die Information zur Verfügung steht, ist die Lesbarkeit auf dem 3,5-Zoll-Bildschirm nicht immer optimal. Hier springt Instapaper ein: Hat man bei diesem Webdienstleister einen kostenlosen Account angelegt, dann kann man sich mit einfachem Klick auf ein einmal installiertes Lesezeichen Webseiten zum späteren Lesen abspeichern. Ruft man sie wieder auf, dann ist es möglich, zwischen der eigentlichen Darstellung wie auf der Webseite oder einer vereinfachten, leseoptimierten Version auszuwählen. Nachdem Reeder den Export von Artikeln nach Instapaper mit zwei Fingertipps anbietet und Instapaper auch auf dem iPhone verfügbar ist, bietet sich damit für das Lesen auf dem Mobilgerät eine Traumkombination. Instapaper kann auch auf dem iPhone direkt im bordeigenen Browser Mobile Safari gelesen werden, entfaltet seinen ganzen Charme aber erst mit einer der Apps, die Entwickler Marco Arment zur Verfügung stellt. Neben einer kostenlosen Version ist für 3,99 Euro die Hi-End-Version Instapaper pro erhältlich, die auch jeden einzelnen Cent ihres Preises wert ist. Diese App setzt Maßstäbe, was die Lesbarkeit auch längerer Texte auf dem iPhone betrifft. Dank des genialen tilt scrolling wird es möglich, selbst ganze Bücher auf dem iPhone zu genießen, wenn deren Kapitel zuvor in Instapaper abgespeichert wurden.

Für den Gesamtpreis von maximal 6,38 Euro – kostenlose Alternativen existieren jedoch für Feedreader wie für Instapaper – ist man also nach kurzem Einrichten Herr über sein eigenes, individuelles Informationsangebot, das ganz nach persönlichen Interessen und Vorlieben zusammenstellbar und immer wieder anpassbar ist. Derzeit lese ich in meinem Feedreader regelmäßig die Nachrichten und Artikel von gut 150 verschiedenen Webseiten und Anbietern. Darunter sind zahlreiche klassische Zeitungs- und Zeitschriftenverlage aus dem In- und Ausland, aber auch eine stetig wachsende Zahl interessanter Blogs zu den unterschiedlichsten Themen und beispielsweise die aktuellen Zu- und Abgänge meiner Twitter-Follower. Gerade die Blogs von professionellen Journalisten haben sich für mich immer mehr zu einer Informations- und Meinungsquelle entwickelt, die der Maschinerie der Verlagshäuser oft weit voraus ist, was Qualität und Geschwindigkeit betrifft, und auf die ich nicht mehr verzichten will. Ich sehe deshalb keinerlei Anlass, mich dem Willen der etablierten Verlage unterzuordnen, die den Geist der der informationellen Selbstbestimmung gern wieder per Apps in die von ihnen leicht beherrschbare Flasche zurückstopfen würden, wie dies André Spiegel jüngst so treffend formuliert hat. Es wäre wirklich zu traurig, ja unverantwortlich, würde wir die Freiheit der eigenen Gestaltung unserer Informationskanäle dem Willen der Marketingabteilung einiger Verlage entsprechend wieder aufgeben.