Irgendwann im Sommer 2003 lief der Leasingvertrag meines Audi A6 Avant aus. Ein schönes Auto, das ich gern fuhr. Kräftiger Sechszylinder, Automatik, jede Menge komfortabler Ausstattung. Zu dieser Ausstattung zählte auch ein Bordcomputer, vom Hersteller Fahrerinformationsdisplay genannt, von den Fahrern allerdings meist als Mäusekino bezeichnet. Vor der Rückgabe des Autos an die Leasinggesellschaft setzte ich die Speicher dieses Geräts zurück, das meine Fahrten stets dokumentiert hatte. Dabei stellte ich fest, dass es im Bordcomputer noch eine weitere Menüebene gab, die ich bisher noch nicht endeckt und offenbar auch nie vermisst hatte. Da ich diesen Speicher folglich nie zurückgesetzt hatte, waren dort alle Fahrten ausgewertet, seit ich das Fahrzeug übernommen hatte: Über drei Jahre und insgesamt etwas mehr als 90.000 Kilometer hinweg.

Mein Erstaunen war nicht gerade gering, dass ich mich, selbst als ausgewiesener Langstreckenfahrer, in dieser Zeit mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von sage und schreibe 36,4 Kilometern pro Stunde fortbewegt hatte. Diskussionen mit Freunden, Bekannten und Geschäftspartnern führten stets zum gleichen Ergebnis: Das könne ja gar nicht sein, so langsam würde doch niemand fahren, und ich, der ich ja als eher zügiger Autofahrer bekannt sei, schon gar nicht. Da müsse wohl etwas am Bordcomputer des Audi defekt gewesen sein. Sie selbst, meine Gesprächspartner, würden jedenfalls niemals derart kriechen und könnten sich dies auch gar nicht vorstellen. Ich forschte also nach den Fehlerquellen.

Und um es kurz zu machen: Ich fand sie nicht. Was ich aber fand, war eine gerade erschienene Studie des Bundesverkehrsministeriums namens Mobilität in Deutschland, die sehr detaillierte Zahlen beinhaltete. Und siehe da: Laut dieser höchst seriösen Studie betrug im Erhebungszeitraum des Jahres 2002 die durchschnittliche Geschwindigkeit der Deutschen bei Autofahrten 32,8 km/h. Da war ich also im Verhältnis immer noch ganz schön flink unterwegs. Dennoch stellte sich für mich aufgrund dieser Erkenntnisse die Frage: Ist es wirklich sinnvoll, fast zwei Tonnen Metall und Kunststoff vorzuhalten und eine Maschine mit einer Leistung von über 150 PS etwa zehn Liter Kraftstoff pro 100 Kilometer verbrennen zu lassen, um sich mit durchschnittlich weniger als 40 km/h fortzubewegen?

Die Antwort fiel negativ aus. Das nächste Auto wurde aus diesem Grund zunächst einmal eine zaghafte Nummer kleiner. Da es seinen Dienst genauso gut tat wie sein Vorgänger, fielen die Hemmschwellen der lieb gewordenen Gewohnheiten völlig. Nach weiteren gut drei Jahren wich der Mittelklassekombi einem gebrauchten Kleinwagen. Das Fahrzeug war unter 750 kg leicht und hatte damit selbst mit seinen heute als spärlich empfundenen 33 kW Motorleistung akzeptable Fahrleistungen. Weitere Vorteile waren die sehr niedrigen Betriebskosten, gute Zuladung und eine Übersichtlichkeit der Karosserie, wie man sie bei aktuellen Automodellen vergebens sucht.

Klar, das kleine Auto war etwas lauter. Es zeigte sich jedoch, dass meine Vorsicht, aufgrund der geringeren Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeugs lieber etwas früher loszufahren, nicht erforderlich war. Ganz objektiv kam ich nämlich auch bei eine maximalen Dauergeschwindigkeit von 120 km/h kaum später an, als mit meinem Sechszylinder-Boliden einige Jahre zuvor. Denn der realistische Schnitt von 35 bis 40 km/h, der war mit dem jetzt gefahrenen älteren Polo natürlich genauso zu machen. Ohnehin hatte ich in der Zwischenzeit die Bahn für mich entdeckt, und auf Kurzstrecken hatte ich schon immer das Fahrrad vorgezogen. So blieb das Auto also immer öfter in der Garage.

Als schließlich eine größere Reparatur anstand, verkaufte ich das Fahrzeug lieber, statt nochmals einige hundert Euro zu investieren. Selbstverständlich nicht, ohne zuvor Mitglied in einer Carsharing-Organisation zu werden. Schließlich wollte ich jederzeit kurzfristig und bei Bedarf Zugriff auf einen Personenwagen haben. Inzwischen bin ich nun schon seit zweieinhalb Jahren autolos. Die Carsharing-Karte habe ich allerdings noch nicht ein einziges Mal benutzt. Einige, wenige Male habe ich allerdings bei einer größeren Autovermietung ein Fahrzeug gemietet, wenn dies die bequemste Reisemöglichkeit für mehrere Personen war. In der Regel lassen sich jedoch alle Orte, die ich zu besuchen habe, bequem und deutlich entspannter mit öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Fahrrad erreichen.

Natürlich habe ich die Diskussion inzwischen mit zahlreichen Menschen geführt: Dass sie selbstverständlich genau dieses 200-PS-Auto benötigen würden, weil sie nämlich jeden Tag damit die 30 Kilometer zur Arbeitsstelle zurücklegen müssten. Und außerdem seien ja auch noch sechs Kilometer zum Lieblingssupermarkt, zwölf Kilometer zur Schwiegermutter und fast vier Kilometer zum Fitnesscenter zu bewältigen. Nicht zu vergessen natürlich auch die dreieinhalb Kilometer zur Tankstelle jeden Samstag. Und ich habe es gelernt, auf die Frage zu verzichten, warum um alles in der Welt man sich, wenn der eigentliche Lebensmittelpunkt doch in der Stadt liegt, im Niemandsland jenseits des Speckgürtels ansiedeln muss – in einer Doppelhaushälfte im öden Neubaugebiet, die kleiner und schlechter ausgestattet als die dazu gehörige Garage (Teil 2) zu sein scheint.
 

Ein älterer Artikel hat sich ebenfalls mit dem Thema der realistischen Berechnung von Geschwindigkeiten beschäftigt: Fahrrad, weils schneller ist?