Männig

Menschen und Esel

La rue courbe est le chemin des ânes,
la rue droite le chemin des hommes.
– Le Corbusier

Wo früher Flugzeuge auf dem Münchner Verkehrsflughafen starteten und landeten, entstand in der Zeit von 1997 bis 2005 der Riemer Park. Mit einer Fläche von 210 Hektar ist er nach dem Englischen Garten und dem Nymphenburger Schlosspark die drittgrößte Parkanlage der bayerischen Landeshauptstadt. Aber nur wenig hat er mit der lauschigen, eingewachsenen, ja etwas plüschigen Atmosphäre anderer Münchner Parks gemein. Der französische Architekt Gilles Vexlard hat eine geradlinigen, grafisch, ja kantig wirkende Landschaft auf dem alten Startbahngelände entwickelt. Nicht nur die Wege durchziehen die Grünflächen ausschließlich in langen, schnurgeraden Linien, sogar der aus dem Bauschutt des Flughafens aufgeschüttete Aussichts- und Rodelhügel ist eckig geraten.

Was die Straßen und Wege des Parkgeländes betrifft, befindet sich Vexlard in guter Tradition Le Corbusiers. Der als Charles-Édouard Jeanneret in der Schweiz geborene Architekt, Stadtplaner, Maler und Designer war spätestens ab 1916 ein Protagonist geradliniger Gestaltung. Auch, was Wege und Straßen betraf, hatte er klare Vorstellungen: Der kurvige Weg ist der Weg des Esels, der gerade Weg der des Menschen, stellte Le Corbusier, der auch gern einmal die Pariser Innenstadt durch 18 Hochhäuser ersetzt hätte, ohne wenn und aber fest. Gerade Wege, man findet sie zuhauf im Landschaftspark Riem.

Was aber, wenn man die Menschen für einige Jahre mit den für sie so passenden geraden Wegen allein lässt? Freilich, diese Wege werden gern benutzt. Fehlen aber Querverbindungen oder Zugänge zu einzelnen, häufig besuchten Punkten, dann entstehen neue Wege. Trampelpfade, die in Ermangelung von Eseln in München-Riem ausschließlich durch Menschenfüße ganz allmählich ihre Form finden. Und selbst wenn nur zwei Punkte zu verbinden, keine Hindernisse im Weg und keine Höhenunterschiede zu berücksichtigen sind: Der Weg, den Menschen ganz intuitiv, ohne Planung, Architekten oder auch nur bewusst formen, scheint fast immer ein zumindest etwas kurviger oder gar gewundener zu sein. Im Riemer Park genau wie anderswo.

Oder sollten doch nur allzu viele Münchner einfach Esel sein?

Wer sich fragt, warum Wege genau so entstehen, dem helfen möglicherweise die Erkenntnisse der Scalalogie (Stichwort Steigespur) weiter.