Der junge Johann Friedrich Böttger lehnt sich weit aus dem Fenster: Im Jahre 1701 demonstriert der Apothekerlehrling und begeisterte Alchimist der Berliner Öffentlichkeit, wie man Silbermünzen in goldene umwandelt. Der begnadete Taschenspielertrick bringt dem zu diesem Zeitpunkt gerade einmal Neunzehnjährigen nicht nur eine Menge Prestige ein, sondern weckt auch die Begehrlichkeiten der preußischen und sächsischen Monarchen, die beide hoffen, mit den Künsten Böttchers ihre chronisch knappen Staatskassen auffüllen zu können. Dem sächsischen König August dem Starken gelingt es schließlich, den jungen Alchimisten in sein Herrschaftsgebiet bringen zu lassen, wo er, wenn auch mit einigen Privilegien ausgestattet, als Gefangener der Krone die Kunst der Goldmacherei voranbringen soll.

Böttgers Haft in der Hand der sächsischen Krone wird 13 Jahre lang andauern, und jeder weiß, dass er den Stein der Weisen, den man seinerzeit für die Grundlage der alchimistischen Golderzeugung hält, in dieser Zeit nicht findet. Was er aber im Jahre 1708 erstmals schafft, ist für den sächsischen König kaum weniger wert als Gold: Weißes Porzellan nämlich, das bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich in China hergestellt wurde. Zwei Jahre später erfolgt die Gründung der ersten europäischen Porzellanmanufaktur in Meißen, und Böttger, noch immer in Haft, wird ihr erster Geschäftsführer.

Nur wenige Jahre nach Böttgers frühem Tod – die Experimente mit giftigen Substanzen hatten wohl stark an seiner Gesundheit gezehrt – entwickelt man in Meißen das Zwiebelmuster, eine Nachahmung fernöstlicher, handgemalter Porzellandekore. Einige Jahrzehnte findet es nur wenig Beachtung, doch schließlich, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wird es zum Verkaufsschlager. Jeder Haushalt, der auf sich hält und der es sich leisten kann, hat nun ein Porzellanservice mit dem begehrten, kobaltblauen Pflanzendekor in seiner Anrichte. Sieben Dutzend Tassen mit Tellern, so werden zeitgenössische Quellen zitiert, seien das Mindeste, was an Zwiebelmuster-Geschirr in eine ordentliche Aussteuer gehöre.

Ob die 19-jährige Ilse Hahn, die im Sommer 1908 den 27 Jahre älteren August Tasche ehelicht, tatsächlich diese Menge an Porzellan in den gemeinsamen Haushalt einbringt, ist nicht bekannt. Sicher ist allerdings, dass zum Hausrat des jungen Glücks zu einem gewissen Zeitpunkt auch eine Meißner Bonboniere mit Zwiebelmuster gehört. Die Porzellandose, die zur Aufbewahrung von Gebäck oder Pralinen gedacht ist, hat bei ungefähr 12 Zentimetern Durchmesser eine Höhe von gut 15 Zentimetern. Den oberen Abschluss des weißblauen Porzellangefäßes bildet ein Messingring mit einem klappbaren, halbkreisförmigen Henkel. In den Ring fügt sich passgenau ein Deckel, der ebenso aus Messing gefertigt ist und der von einem kleinen Zinnknauf als Handgriff gekrönt ist.

Die recht aufwändig verarbeitete und handbemalte Dose entstammt jedoch nicht der zu diesem Zeitpunkt schon Staatlich Sächsischen Porzellanmanufaktur. Schon ab 1879 stellt nämlich ein weiteres Unternehmen, die Meißner Ofen- und Porzellanfabrik (vorm. C. Teichert) ähnliche Produkte unter Lizenz her. Während die Produkte der Staatsmanufaktur die berühmten gekreuzten Schwerter als Markenzeichen am Boden tragen, verzieren die fast 500 Mitarbeiter des Teichert-Imperiums die dort produzierten Waren bis zum Jahr 1930 mit dem Schriftzug MEISSEN im Oval mit Stern. In Sammlerkreisen und unter Antiquitätenhändlern werden diese Porzellanwaren heute auch als Bürgerlich Meißen bezeichnet.

Womit die handliche Bonbonniere wohl in den ersten Jahrzehnten befüllt wurde? Ich weiß es nicht. Irgendwann in den Sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts jedoch, vermutlich nach dem Tod der Erstbesitzerin Ilse Tasche, gelangt die hübsche Porzellandose in den Haushalt ihrer Enkelin. Und diese Enkelin – niemand anderes als meine Mutter – bewahrt fürderhin stets das von ihrem kleinen Sohn für unverzichtbar gehaltene Kakaogetränkepulver Suchard Express in der Dose mit dem Messingdeckel auf. Auch, als er schon größer wird, greift er daher immer wieder gern zu dieser Henkeldose und wegen des stets gleichbleibenden Inhalts etabliert sich die eigentlich nicht ganz richtige Bezeichnung die Kakaodose für den Haushaltsgegenstand.

Seit einigen Jahren ist das gute Stück nun schon ein ganz besonders geschätzter Teil meines eigenen Wohnungs- und Kücheninventars. Noch immer wird es regelmäßig mit dem Getränkepulver aufgefüllt, das freilich aus unerfindlichen Marketinggründen längst vom Hersteller auf den Namen Kakao Express umgetauft wurde. Und wenn sie nicht eines Tages herunterfällt, dann wird die Bonboniere aus Meißen vielleicht auch noch für einige, weitere Generationen gute Dienste tun.