Männig

Geisteshelden

Idyllisch zwischen Umgehungsstraße, stillgelegter Kiesgrube und Paketverteilzentrum gelegen, hat ein Investor ein Shoppingcenter für die Läden einiger Discounter errichtet. Da sich die Vorortgemeinde, bislang hauptsächlich Übernachtungsplatz für Pendler in die benachbarte Großstadt, aus diesem Projekt stetig sprudelnde Gewerbesteuern erhofft, ist sie selbstverständlich zu einigen Zugeständnissen bereit. Da der Bauherr den Anlieferweg für die Lkw auf der Rückseite der Ladenzeile nicht selbst bezahlen möchte, weist ihn die Straßenbaubehörde der Gemeinde eilig als öffentliche Straße aus. Klar, dass diese 150 ins Niemandsland asphaltierten Meter, auf denen heute dann und wann einmal ein übermüdeter Trucker sein Gefährt parkt, nun auch einen Namen brauchen.

Jedoch, die Väter der Gemeinde können sich über die Bennenung nicht einigen. Wie gut hat es sich da gefügt, dass der Anlieferweg nach einem Drittel seiner Gesamtlänge einen Knick macht. Denn so können die Honoratioren des Volkes der Dichter und Denker gleich zwei Ihrer Geisteshelden ehren: 50 Meter des Asphaltstreifens am Rande des Gewebegebiets heißen nun Oskar-Maria-Graf-Straße, weitere 100 Meter sind Theodor Fontane gewidmet. Hausnummern, gar Anwohner oder unter diesen Adressen angesiedelte Unternehmen, sucht man freilich vergebens. Außer öden Rückseiten langweiliger Zweckgebäude auf der einen und Mais-Monokulturen auf der anderen Seite  haben die asphaltgewordenen Ehrungen zweier der bemerkenswertesten deutschen Schriftsteller leider nichts zu bieten.