Männig

Entfremdung

Bis in die frühen Siebziger Jahre gehörte er noch zum Alltag, zumindest bei preiswerteren Fernsehgeräten: Der Trommel-Kanalwähler. Um auf einen bestimmten Fernsehsender zu schalten, musste man zunächst einmal dessen Kanal im VHF-Band kennen. Mit einem Knebelschalter, der vorn oder seitlich am Gehäuse des TV-Geräts angebracht war, konnte dann dieser Frequenzbereich eingestellt werden. Die Feinabstimmung erfolgte schließlich mit einem weiteren Drehknopf. Welch ein Komfort, bedenkt man, dass noch eine Generation zuvor die Radiosender mühevoll auf einem Kristalldetektor gesucht werden mussten.

Schon wenig später waren Stationstasten der Standard. Zunächst allerdings in elektromechanischer Form: Hinter jeder Taste verbarg sich ein kleiner Dioden-Tuner, der durch Drehen des deshalb meist runden Druckknopfs zunächst auf einen bestimmten Fernsehkanal eingestellt werden konnte. Im Alltagsbetrieb genügte es dann, die Taste einfach zu drücken und voilà: Der gewünschte Sender erschien klar und meist sogar ohne weitere Feinabstimmung auf dem Bildschirm. Schließlich setzten sich PLL-Synthesizer-Tuner durch, die elektronische Tasten und natürlich auch die inzwischen unverzichtbaren Fernbedienungen erlaubten.

Heutige TV-Empfänger, gleich, ob im wohnzimmerfüllenden Flatscreen, im Sattellitenempfänger oder im Festplattenreceiver eingebaut, verfügen freilich über einen vollautomatischen Sendersuchlauf und die Möglichkeit, einmal im System registrierte Fernsehstationen mit wenigen Klicks oder Tastendrücken nach Belieben zu sortieren und umzubenennen. Von derart kinderleichter Einstellung eines Rundfunkempfängers hätten freilich unsere Großeltern und Urgroßeltern niemals zu träumen gewagt. Die komfortable Technik, die dem TV-Enthusiasten heute zur Verfügung steht, ist nicht nur im Alltagsbetrieb, sondern auch in der einmaligen Justierung selbst von normal entwickelten Achtjährigen problemlos zu meistern …

… sollte man zumindest meinen. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem man diesen Aushang an seiner Haustüre vorfindet. Es ist zunächst nur schwer zu glauben: Hier hat sich ein gewerbliches Unternehmen darauf spezialisiert, im Auftrag privater Besitzer von Fernsehgeräten die Tastenkombination für die Betätigung des Sendersuchlaufs zu betätigen und, man höre und staune, die Positionen der gespeicherten Sender sogar noch zu sortieren. Hierfür wird dem Kunden von diesem Unternehmen ein Betrag von stattlichen 49 Euro (knapp 100 Mark für die Menschen, die nach wie vor im letzten Jahrtausend verwurzelt sind) in Rechnung gestellt.

Doch damit nicht genug: Zuvor gilt es natürlich, diese Dienstleistung zu buchen. Dies kann, so das Flugblatt oder die Internetseite des Anbieters, per Telefon, E-Mail oder Fax geschehen. In der Zeit, die zum Ausfüllen der Webformulare, in der Warteschleife oder zur Formulieren einer E-Mail benötigt wird, wäre eine derart simple Tätigkeit wie das Starten des Sendersuchlaufs und das Sortieren der Sender natürlich von jedem Nutzer auch selbst zu erledigen gewesen. Ganz davon abgesehen einmal, dass der Techniker oder Spezialist, der für diese hochqualifizierte Tätigkeit eigens angereist ist, sich natürlich bemühen wird, dem werten Kunden gleich noch eine Dienstleistung zu verkaufen, die für ein Vielfaches des zunächst avisierten Betrags in Rechnung gestellt werden kann.

Wir haben uns daran gewöhnt, uns mit Autos fortzubewegen, an denen wir selbst die einfachsten Instandhaltungsarbeiten nicht mehr selbst ausführen können. Wir haben uns damit abgefunden, unseren Kaffee auch im eignen Haushalt mit Vollautomaten zuzubereiten, deren Funktion und deren Innereien sich unserem Wissen und unserem Zugriff effizient entziehen. Wir erwerben heute Geräte im vollen Bewusstsein der Tatsache, dass wir uns damit in die stetige Abhängigkeit von einer ganzen Armada von Unternehmen und Experten begeben werden. Dabei steigern sich Aufwand und Kosten für den Betrieb dieser Geräte in erstaunliche Höhen – und das für die Lösung von Aufgaben, die auch mit wesentlich einfacheren und vor allem von ihrem Besitzer selbst beherrschbaren Mitteln zu erledigen wären.

Wenn nun allerdings der Bedarf besteht, selbst einfachste Funktionen an Geräten wie einem Fernseher, mit dem schließlich ein Großteil der Bevölkerung viele Stunden täglich zubringt, von eigens angereisten Fachleuten ausführen zu lassen, dann scheint inzwischen bereits eine weitere, bedenklichere Dimension der Entfremdung der Verbraucher von ihrem eigenen Umfeld erreicht zu sein. Oder sollte man in diesem Fall gar richtiger von Verblödung sprechen?