Männig

Aggressiver Lobbyismus

Eine der Top-Meldungen des langen Himmelfahrtswochenendes: Frank Ulrich Montgomery ist zum neuen Präsidenten der Bundesärztekammer berufen worden. Der streitbare Radiologe war schon bisher kein Unbekannter. Als Vorsitzender der Klinikärzte-Gewerkschaft Marburger Bund bewies er in dessen Streikaktionen vielfach seine Podiums- und Mediensicherheit. Und auch für seine neue Aufgabe hat er sich viel vorgenommen:

Wir werden versuchen, sehr viel mehr Einfluss auf die Gesundheits- und Sozialpolitik zu nehmen als in der Vergangenheit. Wir sind eine hohe ethisch-moralische Instanz, die wollen wir behalten, aber wir müssen uns im Interesse unserer Patienten auch in die Versicherungsfragen, in die Versorgungsfragen, in die Finanzierungsfragen mehr mit einmischen.

Ganz obenan steht eine auskömmliche Gebührenordnung für Ärzte, wir müssen Patientenrechte gemeinsam mit der Politik regeln, und wir wollen eine ganze Reihe von Strukturverbesserungen in der Versorgung, vor allem auf dem flachen Land regeln. Dafür werden wir uns einsetzen, und das machen wir mit der Regierung zusammen.

(Abschrift des Originaltons aus einem Audio-Beitrag des Norddeutschen Rundfunks vom 2. Juni 2011)

Das klingt zunächst einmal sehr honorig. Schließlich handelt es sich ja bei der Bundesärztekammer um eine hoch offizielle Institution, die jedem Bürger schon seit langem aus den Medien vertraut ist. Doch halt, wer ist diese Organisation eigentlich wirklich? Die Bundesärztekammer ist ein nicht eingetragener Verein, der aus diesem Grunde auch nicht rechtsfähig ist. Schon gar nicht handelt es sich bei der Bundesärztekammer um eine Kammer im juristischen Sinn des Wortes oder um eine öffentliche Körperschaft. Sie ist vielmehr nichts anders als eine Lobbyorganisation, die die Interessen der deutschen Ärzteschaft vertritt, darüber hinaus jedoch niemandem verpflichtet ist.

Gegründet wurde die Bundesärztekammer als Arbeitsgemeinschaft der deutschen Landesärztekammern, um den gesundheitspolitischen Meinungsbildungsprozess der Gesellschaft im Sinne der beruflichen, politischen und insbesondere wirtschaftlichen Interessen der Ärzte zu steuern. Diese Landesärztekammern sind freilich im Gegensatz zu ihrer Ausgründung ein tradierter Bestandteil des eigentümlich-undemokratischen Konstrukts der Selbstverwaltung in den öffentlichen Strukturen des deutschen Staatswesens. Ihre Keimzelle war die erste, 1887 im Königreich Preußen als ärztliche Standesvertretung gegründete Ärztekammer, die letzte größere Strukturveränderung erfuhr das ärztliche Kammerwesen in Deutschland im Jahr 1935, also während der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur.

Doch auch nach Zusammenbruch und Wiederaufbau durften die Ärztekammern auf dem Trittbrett der jungen Demokratie weiterhin mitfahren, übernahm doch der neue Staat der Einfachheit halber viele Gesetze ohne große Veränderungen aus vordemokratischen Zeiten. Schließlich gab es so viel Wichtigeres zu tun in jenen Jahren. Und so verwaltete sie sich also wieder selbst, die Ärzteschaft, weithin unbelästigt vom Gesetzgeber, ja sogar qua öffentlich-rechlicher Satzung fachlich mitwirkend bei dessen Gesetzgebungsverfahren. Daneben kontrolliert sich die Ärzteschaft über ihre Kammern bis zum heutigen Tag unbehelligt von neutralen Instanzen selbst, erstellt Gutachten über ihre Mitglieder und vermittelt bei Streitigkeiten zwischen Ärzten und Patienten. Dass bei all dem andere Interessen als die eigenen zunächst einmal eine untergeordnete Rolle spielen, liegt auf der Hand.

Die staatlich zugestandenen Privilegien blieben jedoch auch in der Bundesrepublik stets auf die Länderebene beschränkt. Die Landesärztekammern gründeten daher schon 1947 die Bundesärztekammer, um den Interessen ihrer Mitglieder auch auf Bundesebene Gewicht zu verschaffen. Einen öffentlichen Auftrag hat der nichteingetragene und damit juristisch auch mehr oder weniger unangreifbare Verein freilich nicht – trotz seines feierlichen Namens und der Akzeptanz, die er sich in Presse, Funk und Fernsehen und nicht zuletzt bei der Politik im Laufe der letzten Jahrzehnte erstritten hat. Bei der Bundesärztekammer handelt es sich, genau betrachtet, um nichts anderes, als eine typische Lobbyorganisation, die sich mit vielerlei Mitteln dafür einsetzt, ihren eigenen Mitgliedern, den Ärzten, möglichst umfangreiche Vorteile zu verschaffen.

Dass es für Lobbyisten kontraproduktiv ist, sich mit demokratischen Strukturen aufzuhalten oder sich gar an ihnen aufzureiben, ist nachvollziehbar. Aber noch nie hat ein führender Lobbyist dies so deutlich, selbstbewusst, ja unverfroren in der Anwesenheit von Mikrofonen und Fernsehkameras verkündet wie Frank Ulrich Montgomery: Man will allein bestimmen, viel mehr Einfluss nehmen auf die Gesundheits- und Sozialpolitik und bei dieser Gelegenheit auch gleich festschreiben, was die Interessen der Patienten sind, die sich ja eigentlich auf der anderen Seite des Tisches befinden.

Man möchte als Lobbyorganisation die Säckel der Ärzte noch besser aus den klammen, öffentlichen Töpfen befüllen als bisher schon. Und besonders beeindruckend: Man gedenkt sogar ganz generös, in diesem Spiel, das die Bundesärztekammer freilich führt, die Regierung der Bundesrepublik Deutschland mitwirken zu lassen. Dass Montgomery sich und seinesgleichen bei derart dreistem vorbeipreschen an den demokratischen Strukturen auch noch als ethisch-moralische Instanz selbst glorifiziert, spottet dann endgültig jeglicher Beschreibung.

Bleibt zu hoffen, dass es sich die Bürger nicht mehr viel länger gefallen lassen, dass Berufs- und Interessensverbände ohne jegliche Legitimation das politische Ruder mit der Unterstützung wuchtiger PR und williger Medien an sich reißen. Gerade im Gesundheitswesen wäre es Zeit für ein grundsätzliches Überdenken der bestehenden Strukturen – und einen Neuaufbau ohne Nutznießer des Systems, die sich unter dem Deckmäntelchen der Selbstverwaltung ihre Geldschatulle nach Gutdünken selbst befüllen.